Rheinische Post Ratingen

Der ultimative Krisengipf­el

Morgen treffen sich Vertreter des DFB, der Vereine und der aktiven Fanszenen. Erstmals sitzen die drei Parteien gemeinsam an einem Tisch. Es könnte die letzte Chance sein, die großen Problemste­llungen im Dialog anzugehen.

- VON PATRICK SCHERER

DÜSSELDORF Zeit für Veränderun­gen – mit dieser Maßgabe reist die aktive Fußballfan­szene morgen aus allen Ecken Deutschlan­ds nach Frankfurt. In der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) treffen sich die Anhänger mit Verbandsfu­nktionären und Vereinsver­tretern. Erstmals sitzen alle Parteien an einem Tisch. Das Thema: Die Zukunft des Fußballs und der Umgang miteinande­r. Es steht zu befürchten, dass die Kluft bereits zu groß ist.

Die Streitpart­eien haben solch unterschie­dliche Auffassung­en über die Rahmenbedi­ngungen des Fußballs, dass ein harmonisch­es Miteinande­r nicht möglich scheint. Auf der einen Seite der stetig wachsende Verband, der auf allen Ebenen in Gigantismu­s verfällt, bei dem das Wort Bodenhaftu­ng nur noch als Worthülse für Marketingz­wecke Bedeutung findet. Auf der anderen Seite Fanbündnis­se und Ultras, als selbst ernannte Beschützer des Volkssport­s und der ihrer Meinung nach einzig wahren Fankultur, die ihre Werte Jahr für Jahr mit immer größer werdenden Füßen getreten sehen.

Nun also ein runder Tisch. Am Wochenende hatten sich Fans bundesweit mit Bannern und Gesängen auf das Treffen eingestimm­t. Das Bündnis „Südtribüne Dortmund“schrieb auf seiner Internetse­ite: „In unseren Augen sind die bundesweit­en Proteste aller Fans die letzte Möglichkei­t sich aktiv einzubring­en und etwas Substanzie­lles in Bezug auf Fanbelange im Milliarden­geschäft Fußball zu erreichen. Und um die Kluft zwischen den Verbänden und der vielzitier­ten Basis – uns Fans – nicht noch weiter zu vergrößern und irreparabe­l zu beschädige­n.“

Themenschw­erpunkte der Anhänger sind dabei vor allem die Zerstückel­ung der Anstoßzeit­en, die Eventisier­ung – wie der Auftritt von Helene Fischer beim DFB-Pokalfinal­e –, die DFB-Sportgeric­htsbarkeit und die immer weiter zunehmende Kommerzial­isierung – spe- ziell mit der Öffnung in Richtung China.

Bereits in den vergangene­n Jahren hatte es einen Austausch zwischen Verbänden und Fans im Rahmen verschiede­ner Arbeitsgem­einschafte­n gegeben. Dabei fühlten sich die Fans allerdings nicht wirklich ernst genommen. 2010 brach der DFB zum Beispiel Gespräche mit Vertretern der aktiven Fanszenen zur Kampagne „Emotionen respektier­en, Pyrotechni­k legalisier­en“ab. Danach herrschte Funkstille – bis zu diesem Sommer.

Im Juli hatte der DFB erstmals wieder den Kontakt zur aktiven Fanszene gesucht. Eigentlich wollte die DFB-Delegation nur mit Vertretern der Gruppierun­g „Ultras Dynamo“aus Dresden über deren Camouflage-Auftritt samt Botschaft „Krieg dem DFB“diskutiere­n. Doch vor Ort warteten rund 50 Ultras – von Gruppen aus dem gesamten Bundesgebi­et. Als erstes Zeichen des Entgegenko­mmens empfahl der Verband kurz darauf seinem Kontrollau­sschuss, keine Kollektivs­tra- fen mehr zu beantragen. „Bis auf Weiteres“wolle der DFB „keine Sanktionen wie die Verhängung von Blocksperr­en, Teilaussch­lüssen oder Geisterspi­elen mehr“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel.

Nun gehen die Gespräche in die nächste Runde. Diesmal im Beisein von Vereinsver­tretern. Die Fans hoffen auf offene Visiere und Gespräche auf Augenhöhe. „Dieses Treffen kann maßgeblich für den weiteren Verlauf der Saison sein“, schrieb die Dortmunder Ultràgrupp­ierung „The Unity“vielsagend in ihrem Spieltagsf­lugblatt am vergangene­n Samstag. „Es wird interessan­t sein zu sehen, wie sich Verbände und Vereine verhalten, wenn alle Partner am Tisch sitzen und sich positionie­ren müssen. Viel zu oft wurde in Hintertürg­esprächen der Schwarze Peter gespielt und die gerade nicht anwesende Partei als Feigenblat­t missbrauch­t. (...) Die Zeit der Ausreden ist aber jetzt vorbei. Alle sitzen gemeinsam am Tisch und müssen sich offen sagen, was Sache ist.“

Es bleibt fraglich, wie sehr das Wirtschaft­sunternehm­en DFB und die Profiligen­vertretung DFL überhaupt Zugeständn­isse machen können. Sicher ist aber: Im Gegenzug wird der DFB klare Positionie­rungen gegen Pyrotechni­k, Vandalismu­s und Gewalt in jeglicher Form erwarten. Und auch hier scheinen die Hürden unüberwind­bar. Im Selbstvers­tändnis vieler Ultras gehören diese Vorgänge – auch wenn sie intern kontrovers diskutiert werden – zum Volkssport Fußball.

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FOTO: IMAGO Wie in vielen anderen Arenen prangte auch im Dortmunder Westfalens­tadion am Wochenende ein Banner mit dem Hinweis auf das heutige Treffen: „9.11. – Zeit für Veränderun­gen“

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