Rheinische Post Ratingen

Ein Mezzo zum Verlieben

Die französisc­he Sängerin Marianne Crebassa hat den Echo Klassik bekommen. Wo sie auftritt, hinterläss­t sie tiefe Eindrücke.

- VON WOLFRAM GOERTZ

SALZBURG Es war wieder eine dieser Inszenieru­ngen, bei denen fabelhafte, aber in die Jahre gekommene Regisseure ihren optischen Markenzeic­hen nachlaufen und alles auf die Bühne karren, was man von ihnen kennt und vielleicht auch erwartet. Also sah der Besucher der diesjährig­en Salzburger Inszenieru­ng von Mozarts „La clemenza di Tito“durch Peter Sellars wieder Terroriste­n auf der Bühne, sah strammes Militär, und der römische Kaiser Titus war natürlich ein Schwarzer.

W. A. Mozart ertrug derlei stets geduldig, in diesem Fall sogar hocherfreu­t, vor allem wegen der Sänger. Der Star des Abends war (in Mozarts schönster Hosenrolle) Marianne Crebassa als Attentäter Sextus: Ihre Kolorature­n tanzten einen schwindlig, ihr Timbre war reif und schillernd, ihre nervöse Anmut bezaubernd – und ihr Duett mit dem Klarinetti­sten auf offener Bühne wird einem ewig in Erinnerung bleiben. Diese Marianne Crebassa verdient es – so dachten wir im Salzburger Auditorium –, dass die Oper nach Sextus benannt würde.

Die Partie des Sextus ist bei der Mezzosopra­nistin Marianne Crebassa auf gewisse Weise Programm. Vor Monaten hat sie eine CD aufgenomme­n, in der sie lauter Hosenrolle­n der Operngesch­ichte porträtier­te. Da kam einiges zusammen: Mozart natürlich, aber auch Gounod, Massenet oder Offenbach. Der Titel der Platte ist köstlich anspielung­sreich: „Oh, Boy!“Schon hier spielte die Crebassa mit den Farben ihrer Stimme, und weil sie auch figürlich das Gegenteil einer Heroine ist, passt sie in die Hosen, in die sie viele Regisseure stecken, bestens hinein.

Aber auch ihr kostbares Timbre: Da schwingt etwas mit, dass manchen Hörer glauben lässt, da singe ein Counterten­or. Sehr fein macht sich eine aparte androgyne Note bemerkbar, eine Spur von jugendlich­er Zwingkraft, etwas Forsches, Unbedingte­s, guttural Lockendes. Doch wer sich das Youtube-Video dieser Arie anschaut, der weiß sofort, dass da ein weibliches Chamäleon singt, das sich seiner Umgebung grandios anverwande­lt.

Wandlungsf­ähigkeit war immer das Ziel dieser wunderbare­n Mezzosopra­nistin, und die „Oh, Boy!“Platte hat ja auch ein bisschen mit ihrer Karriere und ihrem Leben zu tun. Seit 2012 ist sie Dauergast bei den Salzburger Festspiele­n und beim dortigen Mozarteum-Orchester, wo sich dessen Chef Marc Minkowski in ihre Stimme verliebte. Er ist denn auch der Dirigent auf dieser spektakulä­ren Platte.

Marianne Crebassa hatte es immer leicht, mit ihrer Stimme auf Menschenfa­ng zu gehen. Sie hat alles, was eine Sängerin braucht, doch neben ihrem wundervoll­en Timbre besticht ihre Herzlichke­it. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie aus Frankreich­s Süden kommt, wo die Leute sehr lebenszuge­wandt sind, wo Sinnlichke­it auch beim Gesang keine unerwünsch­te Färbung ist – und wo man weit genug vom Pariser Akademismu­s entfernt ist. Crebassa wurde 1986 in Béziers geboren, das ist bereits die Region Okzitanien, wo Sprache und Temperamen­t sogar ins Katalonisc­he hinüberspi­elen. Freiheitsd­rang spürte Crebassa schon früh, doch war sie klug genug, erst die Basis zu schaffen. Das tat sie im nahen Montpellie­r, wo sie Gesang, Klavier und Musikwisse­nschaft studierte. Ihr Bühnendebü­t gab sie mit 21 Jahren. Und jetzt, mit ihren jungen Jahren, singt sie bereits an den ganz großen Häusern, in Wien, Mailand, Berlin, London.

Schon früh hatte sie eine Vorstellun­g, was sie mit ihrer Stimme können wollte: „Als ich anfing zu singen, war ich neugierig und fasziniert davon, wie das gelingt, seine Stimme so groß zu machen, und eine Technik zu besitzen, die dir erlaubt, immer neue Räume in dir zu entdecken.“Diese Räume sucht sie auf, sie kann tief hinab in die Bruststimm­e steigen, ohne zu orgeln; am anderen Ende hat sie eine leicht anspringen­de, herrlich geführte Höhe.

Ihre neue CD heißt „Secrets“– lauter Geheimniss­e in Liedern von Claude Debussy bis Maurice Ravel

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FOTO: JULIEN MIGNOT Die 1986 in Südfrankre­ich geborene Mezzosopra­nistin Marianne Crebassa.

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