Rheinische Post Ratingen

Die Welt läuft heiß

Durch den Klimawande­l schmilzt nicht nur das Eis an den Polen. Weltweit werden sich die Lebensbedi­ngungen verändern.

- VON RAINER KURLEMANN

DÜSSELDORF Wieder einmal eine große Konferenz zum Klimaschut­z. Und wieder einmal tönen die lauten Stimmen von Politikern, die verspreche­n, den Klimawande­l aufzuhalte­n. Sie haben das Abkommen von Paris als großen Durchbruch gefeiert. Demnach soll die Temperatur der Erdatmosph­äre nicht um mehr als zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrial­isierung ansteigen. Sicher ist es ein Verhandlun­gserfolg, dass das Zwei-GradZiel und „die akute Bedrohung durch Klimaänder­ungen“weithin anerkannt werden, doch eine bloße Absichtser­klärung wird die Veränderun­g des Weltklimas ebenso wenig aufhalten wie die populäre Diskussion, ob die Zahl der Hurrikans in den letzten Jahren nun zugenommen hat oder nicht.

Gefragt sind konkrete Aktionen, auch das völkerrech­tlich verbindlic­he Pariser Dokument sieht bei den Industriel­ändern einen „erhebliche­m Anpassungs­bedarf“. Zahlreiche Wissenscha­ftler weltweit haben versucht, die Bedrohung darzustell­en, um die Gefahr des Zuwenigtun­s zu beschreibe­n. Vier renommiert­e Klimainsti­tute haben eine gemeinsame Prognose für den verblieben­en Handlungss­pielraum erstellt. Mit jedem Jahr, in dem sich die Weltgemein­schaft nicht auf wirksame Maßnahmen zur Verringeru­ng des Kohlendiox­idausstoße­s einigt, wird die Aufgabe schwierige­r. Wenn es bis zum Jahr 2020 gelingt, die Treibhausg­asemission­en deutlich zu reduzieren, bleiben uns danach etwa 20 Jahre, um unseren Lebensstil auf eine CO2-freie Variante umzustelle­n. Schaffen wir das erst 2025, halbiert sich dieser Zeitraum. Nach einer Studie der Universitä­t Washington liegt die Wahrschein­lichkeit, dass der Temperatur­anstieg bis zum Ende des Jahrhunder­ts auf zwei Grad oder weniger be- grenzt werden kann, bei lediglich fünf Prozent. Nie zuvor war die Arroganz der Lebenden so groß gegenüber dem, was sie späteren Generation­en hinterlass­en.

Skeptiker antworten gern, dass die Wissenscha­ft schon viele Szenarien aufgeblase­n habe. Das stimmt leider, aber bei keiner vorherigen Prognose war die Faktenlage bisher so gut. Und selbst, wenn nur die Hälfte der Ergebnisse der Computersi­mulationen stimmen sollte, wird das Leben auf der Erde für viele Menschen ohne die Verringeru­ng der Emissionen ungemütlic­h genug.

Denn unsere Assoziatio­nen zum Klimawande­l lassen viele dramati- sche Prozesse außer Acht. Klimawande­l, das bedeutet mehr als nur das Korallenst­erben, mehr als nur den ausbleiben­den Schnee in den Alpen, steigende Meeresspie­gel, schmelzend­e Eisflächen an den Polen oder häufige Stürme und Starkregen­ereignisse. Der Klimawande­l trifft die Welt ganz unterschie­dlich. Einige wenige Regionen werden davon profitiere­n, dass sich Klimazonen verschiebe­n. Aber andere Regionen werden unbewohnba­r werden. So verringern die steigenden Temperatur­en die Ernteausbe­ute von Getreide und anderen Lebensmitt­eln. Wissenscha­ftler haben das in Gewächshäu­sern simuliert. Für jedes Grad Erderwärmu­ng sinkt die Weizenernt­e um sechs Prozent, bei der Reisernte betragen die Einbußen zehn Prozent. Dazu kommen heftige Niederschl­äge, deren Wasser nicht mehr der Landwirtsc­haft dient, sondern nur noch zerstört.

Gesundheit­liche Effekte sind bereits dokumentie­rt. Von 2000 bis 2016 waren etwa 125 Millionen Menschen über 65 Jahre weltweit einer massiven Hitzewelle ausgesetzt, so hat es eine internatio­nale Mediziner-Gruppe ermittelt. Viele Menschen werden regelmäßig Angst vor dem Sommer entwickeln: In Südeuropa werden wochenlang­e Hitzewelle­n erwartet. Den Berechnung­en zufolge klettert die sommerlich­e Durchschni­ttstempera­tur in irakischen Städten selbst in einem milderen Szenario am Ende dieses Jahrhunder­ts auf über 46 Grad. Für 1,5 Milliarden Menschen im südlichen Pakistan, in Bangladesc­h und in Teilen von Indien werden durch die Kombinatio­n von hohen Temperatur­en und extremer Luftfeucht­igkeit bis zum Ende des Jahrhunder­ts lebensgefä­hrliche Bedingunge­n erreicht, die an einen Dauerbesuc­h in der Sauna erinnern. Wer es sich leisten kann, schützt sich durch Klimaanlag­en oder sucht ein neues Zuhause. Die anderen müssen um ihr Überleben kämpfen. Zudem beobachten die Forscher seit Jahren, wie sich der Lebensraum der Anopheles-Mücke und der Ägyptische­n Tigermücke vergrößert. Die Insekten können durch ihre Stiche Malaria, das Dengue-Fieber und andere tödliche Krankheite­n übertragen.

Und es gibt weitere mögliche Effekte, die allerdings nicht besonders gut untersucht sind. So sollen Menschen bei höheren Temperatur­en verstärkt zur Gewalt neigen. Gleichzeit­ig gibt es Anzeichen, dass eine höhere Konzentrat­ion an Kohlendiox­id in der Atemluft die kognitive Leistung des Gehirns verringert. Die steigenden Temperatur­en lassen die Permafrost-Böden langsam tauen, die etwa ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbku­gel ausmachen. Das kurbelt den Klimawande­l um bis zu 0,2 Grad an, weil bisher eingefrore­ne Bakterien mit der Zersetzung von abgestorbe­nen Pflanzenre­sten beginnen. Tausende Methanblas­en werden platzen und ein sehr potentes Treibhausg­as freisetzen. Doch der Dauerfrost­boden setzt auch ganz andere Risiken frei. Im Sommer 2016 infizierte­n sich in der sibirische­n Tundra etwa 2000 Rentiere mit Milzbrand. Ein Junge, der die Tiere betreute, starb. Der Erreger war jahrhunder­telang eingefrore­n.

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