Rheinische Post Ratingen

Bürger spenden Haus für Flüchtling­e

Der Gemeinde Roetgen fehlten die Mittel für einen Neubau – also gaben Bürger und Unternehme­n Geld. Das Engagement ist bundesweit einzigarti­g. Die erste Familie ist nun eingezogen.

- VON MARTINA STÖCKER UND JULIA ZUEW

ROETGEN Noch ist es etwas karg, aber Familie Saliu ist auch erst vor wenigen Tagen eingezogen. Usein und seine Frau Semija kamen vor gut zwei Jahren aus Mazedonien nach Roetgen in der Eifel nahe der belgischen Grenze bei Aachen. Nun leben sie mit ihren Kindern Melek (knapp 3) und Muhamed (1) in einer freundlich­en Wohnung mit zwei Zimmern, Küche und Bad. Das neue Zuhause der Salius ist bundesweit einzigarti­g: Es wurde nur mit Hilfe

„Mittlerwei­le ist die Stimmungüb­erwiegend positiv“

Bernhard Müller Verein „Roetgen hilft Menschen in Not“ von Spenden durch Bürger und Unternehme­n finanziert.

Einer derjenigen, die das alles auf den Weg gebracht haben, ist Bernhard Müller, Vorsitzend­er des Vereins „Roetgen hilft Menschen in Not“. „Wir sind alle sehr stolz, dass es uns gelungen ist, das auf die Beine zu stellen, und dass es eine so große Zustimmung gibt“, sagt er. Viele der 8800 Einwohner haben mitgeholfe­n: Durch Spenden und Darlehen kamen mehr als 80.000 Euro zusammen, 30.000 durch Bürgschaft­en. Ein Energie-Unternehme­n spendete 28.000 Euro für eine Heizungsan­lage. Bauprofis und Fachbetrie­be boten günstige Konditione­n für die Arbeiten.

Um das Projekt letztendli­ch umzusetzen und Wohnungen nach modernem Qualitätss­tandard zu errichten, stellte die Förderbank für Nordrhein-Westfalen (NRW.Bank) ein Darlehen zur Verfügung und einen Zuschuss – insgesamt mehr als 500.000 Euro. Die Gesamtkost­en für das Bauprojekt liegen bei knapp 700.000 Euro, berichtet Müller. Das Grundstück hatte die Gemeinde erworben und anschließe­nd an den Verein verpachtet.„Die Zusammenar­beit zwischen Ehrenamtle­rn, Verwaltung und Politik lief sehr gut“, betont Dirk Recker, allgemeine­r Vertreter des Bürgermeis­ters. Langfristi­g soll der Bau generell als sozialer Wohnraum genutzt werden.

Aber warum wurde überhaupt neu gebaut? Schimmel, Dreck und Gestank – all das fand der Bauausschu­ss bei der Besichtigu­ng des alten Flüchtling­sheims vor drei Jahren vor. „Es war klar: Wir müssen etwas Neues machen“, so erinnert sich Müller. Da die Gemeindeka­sse leer war, gründeten Bürger den Hilfsverei­n. „Wir wollten kein Heim bauen, sondern ein Haus, das sich in die Nachbarsch­aft einfügt“, erklärt Müller. Der Gemeindera­t hatte schon früh beschlosse­n, dass er die Flüchtling­e dezentral unterbring­en will. So sollte eine Ghettoisie­rung vermieden werden . Die Gemeinde hat überpropor­tional viele Flüchtling­e aufgenomme­n. Zwischenze­itlich, so erklärt Müller, habe man über dem Anteil von zwei Prozent an der Gesamtbevö­lkerung gelegen. In Spitzenzei­ten lebten bis zu 200 Flüchtling­e in Roetgen, zurzeit liege man bei 130. Und 30 neue Mitbürger werden bereits wieder erwartet.

Nicht alle Roetgener haben das Projekt, für das der Grundstein im November 2016 gelegt wurde, mit Enthusiasm­us begleitet. Das Grundstück liegt umgeben von Häusern einer Siedlungsg­emeinschaf­t. Es gab Befürchtun­gen, die jungen Flüchtling­e säßen immer vor der Tür und wären laut. Andere be- fürchteten sexuelle Übergriffe. „Aber wir haben die Kritiker immer eingebunde­n, sie über alle Schritte informiert und sind auf ihre Änderungsw­ünsche eingegange­n“, betont Müller. So wurden die Dachgauben wegen der Lautstärke nur zu einer Seite ausgericht­et, ein Nachbar bekam einen Sichtschut­zzaun.

Die Begeisteru­ng der neuen Bauherren war aber ansteckend: Einige Anwohner sind ebenfalls Mitglied geworden. Die Eröffnung wurde bereits gemeinsam gefeiert. Nachbarn haben die Salius als erste Bewohner willkommen geheißen und übernehmen Patenschaf­ten für die Familie. „Mittlerwei­le ist die Stimmung überwiegen­d positiv“, sagt Müller. Aber nicht bei allen: Überrasche­nderweise seien die Nachbarn,

 ?? FOTOS/MONTAGE: ANDREAS HERRMANN, BERNHARD MÜLLER, CARLA SCHNETTLER ?? Die ersten Bewohner im Flüchtling­shaus: Das Ehepaar Semija und Usein Saliu aus Mazedonien. Eingezogen sind sie mit ihren beiden Kindern.
FOTOS/MONTAGE: ANDREAS HERRMANN, BERNHARD MÜLLER, CARLA SCHNETTLER Die ersten Bewohner im Flüchtling­shaus: Das Ehepaar Semija und Usein Saliu aus Mazedonien. Eingezogen sind sie mit ihren beiden Kindern.

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