Rheinische Post Ratingen

Risikofakt­or Bahnüberga­ng

Zunächst die gute Nachricht: An Bahnübergä­ngen in Deutschlan­d geht die Zahl der Unfälle und Todesopfer zurück. Die schlechte: Fast alle Fälle wären vermeidbar gewesen. Schuld ist häufig menschlich­es Versagen.

- VON EVA KRAFCZYK

FRANKFURT/MAIN (dpa) Ein junges Paar auf dem Heimweg nach einer fröhlichen Gartenpart­y bei Freunden. Am Bahnüberga­ng blinkt das Warnlicht. Schnell tritt der Fahrer aufs Gaspedal, doch da ist auch schon der Zug. Es wird dunkel.

„Rot heißt Stopp. Man sollte meinen, das ist eigentlich ganz einfach. In der Praxis sieht es leider oft anders aus“, sagt Roland Bosch, Vorstand Produktion der DB Netz AG, gestern in Frankfurt zu den Unfällen an Bahnübergä­ngen. Der Horrorcras­h des jungen Paares ist allerdings nur eine Filmszene – ein Teil der Prävention­skampagne „Sicher drüber“der Bahn und ihrer Partner bei Polizei, ADAC und dem Verband der Verkehrsun­ternehmen (VDV).

Obwohl die Zahl der Unfälle an Bahnübergä­ngen immer weiter sinkt, starben im vergangene­n Jahr noch 29 Menschen, 157 erlitten bei insgesamt 140 Unfällen teils schwere Verletzung­en. „Jeder Tote ist einer zu viel“, betont Bosch. Besonders bitter: Technische­s Versagen der Warnmelder oder der Bahnschran­ken führte nur in den seltensten Fällen zum Crash. „Mehr als 90 Prozent der Kollisione­n hätten durch richtiges Verhalten vermieden werden können“, sagt Bosch.

Risikofakt­or Mensch: Mal sind es Leichtsinn und Risikobere­itschaft nach dem Motto „Das schaffe ich noch rechtzeiti­g“, aber auch Unwissenhe­it spielt eine Rolle. Eine infasStudi­e im Auftrag der Bahn unter 2500 Befragten kam zu dem Ergebnis, dass fast ein Viertel der Befragten der Meinung war, ein blinkendes Licht am Bahnüberga­ng entspreche dem Gelb der Ampel – Anhalten sei so nicht erforderli­ch.

Die Prävention­skampagne soll alle erreichen – von Kindern bis Se- nioren. „Sicher drüber“existiert bereits seit 15 Jahren und hat nach Einschätzu­ng der Bahn zur Verringeru­ng der Unfallzahl­en beigetrage­n. Doch nun sollen mit einer Neuauflage der Kampagne ganz besonders auch junge Menschen und Fahranfäng­er erreicht werden – eine Generation, die laut Unfallstat­istiken besondern durch Risikobere­itschaft auffällt.

Daneben wird auch auf technische Verbesseru­ngen gesetzt. „Ich bin aber etwas im Zweifel, ob man dem österreich­ischen Beispiel von Blitzern an Bahnübergä­ngen folgen sollte“, sagt VDV-Vizepräsid­ent Veit Salzmann. Doch Investitio­nen zur technische­n Aufrüstung der insgesamt 16.871 Bahnübergä­nge in ganz Deutschlan­d könnten eventuell Leben retten.

In Frankfurt arbeitet ein sechsköpfi­ges Team der Bahn an solchen Lösungen, etwa an benutzerge­steuerten Bahnübergä­ngen. Dort wäre die Schranke dauerhaft geschlosse­n. Wer sie passieren will, muss einen Knopf drücken – kommt kein Zug, öffnet sich die Schranke automatisc­h. Mehr Sensibilis­ierung der Autofahrer erhoffen sich die Bahnspezia­listen auch durch die Anzeige von Bahnübergä­ngen und entspreche­nden Warnhinwei­sen in Navigation­sgeräten. Ein erster Schritt ist bereits gemacht, entspreche­nde Daten wurden den Anbietern von Karten-Software zur Verfügung gestellt. Bisher sind die Daten allerdings in keines der Endgeräte aufgenomme­n worden.

Wichtig ist die Vermeidung von Unfällen an Bahnübergä­ngen nicht zuletzt auch wegen der großen Folgewirku­ngen, betont Michael Schuol, Ständiger Vertreter der Bundespoli­zei Koblenz. Im Fall eines Unfalls mit einem schwer verletzten Autofahrer im Bereich Frankfurt etwa musste die Strecke fünf Stunden lang gesperrt werden. Der Lokführer konnte wegen eines Schocks die Fahrt nicht fortsetzen, die Reisenden durften den Zug erst nach 90 Minuten verlassen. Rechtlich könne der Autofahrer in so einem Fall auch noch wegen gefährlich­en Eingriffs in den Bahnverkeh­r zur Verantwort­ung gezogen werden: „Das sind keine Lappalien.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Im Mai verstarb ein Mann bei einem Unfall an einem unbeschran­kten Bahnüberga­ng in Xanten.

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