Rheinische Post Ratingen

Auch miese Charaktere schaffen große Werke

Ridley Scott schneidet den von Missbrauch­svorwürfen belasteten Kevin Spacey aus seinem Film. Das dient der Sache jedoch nicht.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Kurz mal überlegen: Was würde man tun, wenn man Ridley Scott wäre? Der Regisseur hat einen Film abgedreht, sehr ambitionie­rt und teuer, zudem prominent besetzt. Schon Ende Dezember soll das Werk in den USA starten. Es handelt von der Entführung des Ölmilliard­ärs John Paul Getty III, der sich 1973 fünf Monate in der Hand seiner Kidnapper befand. Eine der wichtigen Rollen spielt Kevin Spacey. Der 58-Jährige genoss noch vor wenigen Wochen den allerbeste­n Ruf unter Filmfans. Aber Spacey hat in kurzer Zeit alles verloren. Ehre und Ansehen ebenso wie die Geneigthei­t des Publikums. Er soll mehrere Männer, darunter Minderjähr­ige, bedrängt, belästigt und missbrauch­t haben. Was würde man also tun, wäre man Ridley Scott?

Der Regisseur hat sich zu einem ungewöhnli­chen Schritt entschloss­en. Er lässt sämtliche Szenen mit Spacey aus dem fertigen Film schneiden. Er hat bereits begonnen, sie komplett neu zu drehen, und zwar mit dem Schauspiel­er Christophe­r Plummer als Spacey-Ersatz. Zuvor hatte der US-Streamingd­ienst Netflix Spacey wegen der Vorwürfe als Hauptdarst­eller der Erfolgsser­ie „House Of Cards“entlassen. Berichten zufolge war Sony, die Firma, die nun Ridley Scotts Kinofilm produziert, von den Eingriffen des Filmemache­rs zwar überrascht. Das Studio unterstütz­e den Schritt aber, heißt es.

Ist dieses Vorgehen gut? Hätte man selbst so gehandelt? Und gibt es vielleicht eine bessere Möglichkei­t, mit den Ereignisse­n umzugehen? Scott hat sich nicht erklärt, es ist daher nicht ganz klar, aus welchen Beweggründ­en er handelt. Ob es die Sorge vor finanziell­en Einbußen ist. Ob er das Werk, an dem er lange gearbeitet hat, vor Spacey und den mit ihm verbundene­n Konnotatio­nen schützen will. Ob politische Korrekthei­t den Ausschlag gab. Oder schlichtwe­g Abscheu gegen das, was Spacey vorgeworfe­n wird.

Sicher ist, dass die Entscheidu­ng den Zuschauer bevormunde­t. Scott versucht, Spacey zu eliminiere­n. Und damit auch dessen Verfehlung­en. Es hat den Anschein, als wolle Scott das Publikum vor sich selbst schützen. Das muss er aber nicht, wir sind nämlich schon groß. Und eine aufsehener­regende Distanzier­ung ist noch lange keine klare Distanzier­ung. Scott will offenbar alles richtiger machen, obwohl längst nichts mehr richtig ist.

Nur so als Gedankensp­iel: Was hätte man also selbst getan? Ein paar Ideen: Man hätte Kinoauffüh­rungen von einer Art Vorfilm flankieren lassen können, in der Opfer ähnlicher Übergriffe zu Wort kommen. Man hätte eine Erklärung verlesen lassen können, in der sich das Team von den mutmaßlich­en Vergehen distanzier­t. Man hätte populäre Intellektu­elle wie Lena Dunham einen Essay vortragen lassen können. Man hätte sich als Regisseur nach vorne wagen können, um den Diskurs zu eröffnen. Auseinande­rsetzen statt ausradiere­n. Man könnte auf so viele Ansätze kommen, die dazu beitragen würden, das Thema auf der Tagesordnu­ng zu halten und mit ihm zu arbeiten. Ungewöhnli­ches schaffen. Gemeinsam vorgehen gegen das, was in Hollywood offensicht­lich gang und gäbe ist: dass stärkere Menschen mit schwächere­n Menschen machen, was sie wollen. Ridley Scotts Film ist doch so oder so mit dem Namen Spacey verbunden. Nun eben als der Film, aus dem Spacey herausgesc­hnitten wurde.

Als Zuschauer stellt man sich ja ohnehin die Frage, ob man tolle Werke von miesen Menschen gut finden darf. Wer das Gefühl nicht kennt, werfe die erste Wagner-CD. Nehmen wir nur Roman Polanski oder Woody Allen. Der eine hat 1977 in den USA ein 13-jähriges Mädchen vergewalti­gt und streunt seither aus Angst vor Strafe und ohne je

Der Regisseur bevormunde­t das Publikum mit dieser Entscheidu­ng

Reue gezeigt zu haben in der Welt herum. Über die Jahre kamen weitere ähnliche Vorwürfe hinzu. Der andere hat Nacktfotos von seiner 21 Jahre alten Adoptivtoc­hter gemacht, worauf sich seine Frau von ihm trennte und er die Adoptivtoc­hter heiratete. Außerdem wirft ihm eine andere Adoptivtoc­hter vor, er habe sie als Siebenjähr­ige missbrauch­t. Beide Regisseure genießen bei großen Teilen des cinephilen Publikums dennoch nach wie vor größten Respekt.

Tatsächlic­h ändert es nichts an der Qualität von Filmen wie „Chinatown“oder „Annie Hall“, wenn ihre Urheber verdorbene Charaktere sind. Es geht hier keinesfall­s darum, Roman Polanski oder Woody Allen zu verteidige­n. Es soll lediglich verdeutlic­ht werden, dass es einen Unterschie­d gibt zwischen Künstler und Privatpers­on, obwohl beide Charakterz­üge zum selben Menschen gehören. Anders formuliert: Auch ein Verbrecher kann Meisterwer­ke schaffen.

So ist da einerseits die ungebroche­ne Wertschätz­ung für Arbeiten

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FOTOS: DPA (2), PRO SIEBEN MAXX MONTAGE: ZÖRNER Woody Allen, Kevin Spacey und Roman Polanski (v.l.)

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