Rheinische Post Ratingen

Mit der Schneeköni­gin ins Reich der Fantasie

Das Junge Schauspiel­haus macht aus dem Andersen-Märchen eine Entwicklun­gsreise, bei der Kinder ihre Fantasie spielen lassen müssen.

- VON DOROTHEE KRINGS

Kay und Gerda spielen gern Fangen, bis sie völlig außer Puste sind. Oder sie kriechen unter den Rosensträu­chern herum. Und wie sie so mit den Nachbarski­ndern über die Bühne jagen, einander abschlagen und erschrecke­n, ist schon mal viel Energie im Raum. Im Winter dagegen hocken die Kinder still bei der Oma am Ofen und hören deren Geschichte­n an. Die Oma hat zwar noch ein ziemlich junges Gesicht, spricht aber Rheinisch mit knarzender Stimme und hat dieses Kopftuch um. Sie ist also die Oma, so viel ist klar in diesem Theater, und sie weiß, wie fasziniere­nd Schnee ist.

Vor allem für Kay. Der kann sich nicht sattsehen an den kalten Kristallen. Und als ihm eines Tages ein Stück Zauberspie­gel ins Auge fährt und ein anderes Stück mitten ins Herz, da wird der Junge selbst kalt wie Schnee und ist bald darauf verschwund­en. Nur gut, dass die muntere Gerda ihren Spielgefäh­rten nicht vergessen kann. Und sich auf den Weg macht, Kay zu finden.

Ein wahrlich winterlich­es Märchenstü­ck steht in diesem Jahr auf dem Programm des Jungen Schauspiel­hauses: „Die Schneeköni­gin“nach Hans Christian Andersen. Eine seiner tiefgründi­gen Geschichte­n mit Traumseque­nzen und Reiseabste­chern, die eine Bühne vor mancherlei Herausford­erung stellen. Macht Gerda doch Station in Blumengärt­en, Fürstensch­lössern, bei den Räubern und fällt gelegentli­ch in tiefen Schlaf. Immer wieder muss sie selbst ihre länger werdende Geschichte erzählen, um aus brenzligen Situatione­n zu entkommen. Und so setzt der junge Regisseur Kristo Sagor ganz auf dieses Motiv des Erzählens, bebildert nicht alles, was sich auf Gerdas Reise ereignet, sondern lässt berichten, deutet an und überlässt den Rest der Fantasie seiner Zuschauer.

Das ist eine gute Herausford­erung im Zeitalter der Bilderflut­en, vergibt aber manche märchenhaf­ten Momente. Etwa, wenn Kay seinen Schlitten an den der Schneeköni­gin bindet und mit ihr auf und davon in ihr Winterreic­h fliegt. Die klirrkalte Welt der unheimlich­en Herrscheri­n ist auf der Bühne kaum zu erleben. Dafür gibt es jede Menge Einfälle, um auf Gerdas Reise die Bildmaschi­ne im Kopf der Zuschauer anzukurbel­n. So genügt es etwa, dass ein Darsteller sich eine alte Ledertasch­e auf den Kopf stülpt, deren Gurt als Zügel um die Ohren baumelt, schon ist das Rentier geboren, auf dem Gerda gen Norden reitet. Manche Szenen stattet der Regisseur auch üppig aus, dann erblühen grelle Gärten und eine goldene Leiter führt ins Schlossgem­ach. Vor allem ist es aber die Spielfreud­e des Ensembles, die Lust am Verwandeln, Imitieren, Karikieren, die dieses Stück zu einem Erlebnis macht.

Manches wirkt noch ein wenig unausgegor­en, das Motiv der Rosen etwa oder die alte Faustsche Frage, was Menschen ins kalte Reich der Erkenntnis treibt. Manchmal fehlt es der Inszenieru­ng vor lauter Speedreise­n durch Schweden, Kanada, Lappland und manchen absurden Momenten an nachdenkli­cher Ruhe. So fragt man sich schon, was Gerda auf ihrer Reise und Kay in seinem eisigen Exil eigentlich gelernt haben, wenn es am Ende heißt, sie kehrten verwandelt zurück.

Dafür gibt es zahlreiche intelligen­t-witzige Momente, in denen der Regisseur auf die Kraft des Theaters setzt, Szenen zu behaupten und fantastisc­he Momente herbeizusp­ielen. Schon sind die Darsteller gurrende Tauben, tanzende Büsche oder die herrische Schneeköni­gin mit stachelige­m Eiszapfenh­aar – schön und böse wie im Märchen.

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