Rheinische Post Ratingen

Mann mit vielen Gesichtern

Richard Löwenherz hatte alles, was es zur Legendenbi­ldung braucht. Englands König ist jetzt eine Ausstellun­g in Speyer gewidmet.

- VON ALEXANDER BRÜGGEMANN

SPEYER (kna) Es gibt eine Handvoll Herrscherg­estalten des Mittelalte­rs, deren Ruhm und Legenden weit über das Normalmaß hinausreic­hen. Friedrich Barbarossa, der im Kyffhäuser bis heute auf seinen endzeitlic­hen Marschbefe­hl wartet, ist so einer; Heinrich V. von England, der sein weit unterlegen­es Fußvolk in der Schlacht von Azincourt auf wundersame Weise zum Sieg gegen das französisc­he Adelsheer führte. Den Staufer Friedrich II. schließlic­h, so genial wie gnadenlos, Schachspie­ler der Macht und Schachfigu­r der Mächte. Zu diesen Top Ten des Mittelalte­rs gehört auch der Mann mit dem Löwenherz, „Richard I., the Lionheart“, König von England, dem das Historisch­e Museum in Speyer eine Ausstellun­g widmet.

Sein Leben hat alles, was es zur Legendenbi­ldung braucht: beste Herkunft, Draufgänge­rtum und Schlachten­glück, Taktieren mit dem Erbfeind Frankreich; Ränke und Rankünen, Romanstoff­e rund um den Sherwood Forest – den er wahrschein­lich nie betreten hat – und natürlich ein früher Heldentod, dem Siegfried gleich.

Richard I. war mehr als ein Abziehbild von einem christlich­en König, der die Befreiung der Heiligen Stätten über sein Land stellte, dann das Wohl seines Landes über sein eigenes, um am Schluss, umgeben von Verrätern, doch das Gute triumphier­en zu lassen. Die neuere Historiogr­aphie zeigt einen Mann mit vielen Gesichtern – und lässt auch die eher unbekannte­n Seiten einer rätselhaft­en Persönlich­keit aufscheine­n: Richard der Dichter und Förderer der Troubadour­e, Löwenherz der Fromme, der sich aus spä- tem schlechten Gewissen zu Füßen seines ungnädigen Vaters bestatten ließ – oder Löwenherz, der Franzose. Denn allzu sehr konnte sich dieses Idol der britischen Geschichte dann wohl doch nicht mit „seinem“regnerisch­en Heimatland identifizi­eren. Weniger als eines seiner zehn Regierungs­jahre verbrachte der Normanne in England – ohne des Englischen mächtig zu sein.

Es ist die Tragik des Herrscherh­auses Plantagene­t, dass es die überwältig­ende Machtbasis des erst entstehend­en „Angevinisc­hen Reiches“von Schottland bis zu den Pyrenäen nicht konsolidie­rte, indem es die kulturell sehr unterschie­dlichen Regionen einander annäherte. Stattdesse­n rieb es sich in Rosenkrieg­en, Vater-Sohn- und Bruderzwis­ten auf. Ansonsten wäre aus Richard I. Löwenherz wahrschein­lich Richard der Große geworden. Und die europäisch­e Landkarte hätte sich auch nach seinem frühen Schlachten­tod durch einen vereinzelt­en Armbrustsc­huss 1199 ganz anders entwickeln können. Info „Richard Löwenherz. König - Ritter - Gefangener“, Historisch­es Museum der Pfalz, Speyer, bis 15. April 2018.

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FOTO: AKG-IMAGES Bildnis auf dem Grabmal von Richard Löwenherz (1157-1199).

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