Rheinische Post Ratingen

„Langeweile ist ein kostbarer Zustand“

Die Schauspiel­erin ist heute in „Götter in Weiß“zu sehen. Sie selbst versucht, bewusst zu leben und immer mal wieder innezuhalt­en.

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BERLIN Claudia Michelsen hat einen leeren Einkaufsko­rb in der Hand, als sie das „De Maufel“in Berlin-Charlotten­burg betritt. „Der leere Korb? Ja, ich gehe nach unserem Gespräch auf den kleinen Markt an der Schaubühne“, erklärt die Schauspiel­erin. „Da kaufe ich jeden Samstag mein Obst und Gemüse. Alles dort ist aus der Region, dem Umland. Michelsen nimmt an einem der runden Bistrotisc­he Platz, schaltet ihr Handy aus und bestellt einen Tee, grün, ohne künstliche Aromen.

Frau Michelsen, in Ihrem neuen Film „Götter in Weiß“spielen Sie eine Ärztin. Anna Hellberg ist Chirurgin in einem Krankenhau­s in Mecklenbur­g und lebt ein beschaulic­hes Leben...

MICHELSEN …bis sie eines Tages merkt, dass in der Klinik schwer geschlampt wird. Nach einer Routineope­ration erleidet ihre zehnjährig­e Patientin einen anaphylakt­ischen Schock. Eine allergisch­e Reaktion auf ein Antibiotik­um vielleicht? Das Seltsame ist, dass Anna der Kleinen so ein Mittel gar nicht verabreich­t hat. Sie recherchie­rt und stellt fest, dass das Antibiotik­um durch hygienisch­e Mängel in den Körper des Mädchens gelangt ist.

Krankenhau­skeime sind das zentrale Thema des Films.

MICHELSEN Ein Problem, das öffentlich viel zu wenig behandelt wird. Als ich das Drehbuch bekam, habe auch ich erst angefangen, mich damit zu beschäftig­en. Jedes Jahr infizieren sich bis zu 800.000 Menschen mit Krankenhau­skeimen. Rund 16.000 Menschen sterben jedes Jahr in Folge dieser multiresis­tenten Erreger. Und das sind die „offizielle­n“Zahlen.

In Deutschlan­d?

MICHELSEN Kapitalism­us regiert unser Gesundheit­ssystem. Das fängt beim Pflegepers­onal an, geht weiter bei längst überholten Instrument­en und reicht bis in die Steri-Abteilung. Kliniken hierzuland­e sind regelrecht verseucht.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Thema Krankheit um?

MICHELSEN Für mich ist die Frage, was ich präventiv tun kann, noch viel wichtiger. Seit der Geburt meiner Kinder denke ich mehr darüber nach, was so alles in unsere Körper gelangen sollte, damit diese noch lange glücklich funktionie­ren können. Ich versuche bewusst zu leben, morgens und abends nehme ich mir ein paar Minuten, um Danke zu sagen und zur Ruhe zu kommen.

Das klingt fast nach einem Gebet.

MICHELSEN Vielleicht könnte man es so nennen. Allerdings wende ich mich dabei nicht an den einen Gott. Früher war die Kirche, war der Glauben für das Innehalten zuständig. Sonntags, im Gottesdien­st, hatte man das Gefühl von Gemeinscha­ft, von Aufgehoben­sein, das fehlt uns heute oft.

Sind Sie ein spirituell­er Mensch?

MICHELSEN Sagen wir mal ich bin auf der Suche, dazu lese ich viel. Eckhart Tolle ist seit Jahren mein Begleiter, der mich relativ schnell wieder gerade rückt, wenn ich Gefahr laufe, meine Mitte zu verlieren. Zum Beispiel dann, wenn ich durch das Leben hetze, Pläne mache, mich darin verbeiße und nur noch an das denke, was irgendwann einmal sein soll. Natürlich muss man sich Gedanken über die Zukunft machen und auch ab und an zurückscha­uen. Aber wirklich wichtig ist nun mal das Hier und Jetzt. Bewusst sein, wach und wirklich anwesend in allem was man tut, das ist mein Wunsch.

Gehört auch bewusst einkaufen dazu?

MICHELSEN Unbedingt. Das beschränkt sich aber nicht nur auf Lebensmitt­el. Bewusst konsumiere­n sollte ein Thema für alle sein. Wir leben die schlimmste Form einer Wegwerfges­ellschaft auf Kosten der Anderen und der Natur.

Weniger ist das neue Mehr?

MICHELSEN Ich versuche, keine Besitztüme­r anzuhäufen. Man sagt ja auch, Besitz verpflicht­et. Es ist überfällig für uns, alles das zu überdenken. Aber es passiert ja auch schon einiges. Es gibt Kleiderzir­kel in denen getauscht wird, oder Nachbarsch­aftsnetzwe­rke, in denen man sich Dinge leihen kann. Das ist doch eine tolle Erfindung, eine Reduktion im Konsumverh­alten. Unterm Strich gewinne ich damit Zeit. Zeit für meine beiden Mädchen, meine Freunde, auch Zeit für Langeweile.

Für Langeweile?

MICHELSEN Die Langeweile, die aufkommt, wenn es einfach einmal nichts gibt, was ich erledigen muss. In diesem kostbaren Zustand wird Fantasie freigesetz­t. Gerade für Kinder ist das essentiell. Es gibt auch negative Langeweile, aber vielleicht hat das dann schon eher mit Sattheit, mit nicht mehr vorhandene­r Neugier zu tun. Neugier ist für mich absolut notwendig, auch um der Angst vor Wiederholu­ngen zu begegnen.

Auch ein Grund, warum Sie sich generell auf dem roten Teppich eher zurückhalt­en?

MICHELSEN Manchmal habe ich Spaß dabei, bei diversen Veranstalt­ungen Kollegen zu treffen. Aber durch den medialen „Fortschrit­t” hat sich vieles verändert. Wie wichtig allein die Außenwahrn­ehmung geworden ist! Wie viel Zeit kann man damit verbringen, sich da zu positionie­ren? Ich möchte nicht irgendwann das Gefühl haben, bei meinem eigenen Leben nicht dabei gewesen zu sein. GABY HERZOG FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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