Rheinische Post Ratingen

Straftäter­n eine zweite Chance geben

„Neue Wege“– der Verein der Jugendgeri­chtshilfe feiert Zehnjährig­es. Prävention und ein Opferfonds sind Teil des Angebots.

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KREIS METTMANN Der Verein „Neue Wege“feiert das zehnjährig­e Bestehen. In den Städten Heiligenha­us, Mettmann, Wülfrath, und Haan werden Kinder und Jugendlich­e begleitet, die straffälli­g geworden sind. Demnächst kommt die Stadt Erkrath als neues Vereinsmit­glied hinzu. Unsere Zeitung sprach mit Dirk Wermelskir­chen, Vize-Vorsitzend­er und Gründungsm­itglied bei „Neue Wege“.

Der Verein Neue Wege hat sich 2007 gegründet – was war damals anders als heute?

WERMELSKIR­CHEN Damals waren wir alle Einzelkämp­fer, als kleine Jugendämte­r in den einzelnen Städten. Wir hatten wenig Geld für pädagogisc­he Projekte. Daher fehlten solche Angebote für straffälli­g gewordene Jugendlich­e. Hinzu kam eine Vielzahl von Straftaten, vor allem in der Stadt Mettmann, wo wir es damals auch mit Bandenstru­kturen zu tun hatten. Das hat uns auf allen Ebenen gefordert. Heute sind die Zahlen im Vergleich dazu rückläufig – was nicht nur mit dem demografis­chen Wandel zu tun hat.

Wie waren die ersten Reaktionen, als Sie von ihren Plänen erzählt haben, den Verein Neue Wege gründen zu wollen?

WERMELSKIR­CHEN Oh, da gab es eine weite Spanne. Die reichte von „Toll – eine gute Idee“bis „Na ja, macht das mal, aber ihr werdet keinen Erfolg haben. Spätestens nach zwei Jahren werdet ihr scheitern.“Um den Verein gründen zu können, brauchten wir die Zustimmung der Bürgermeis­ter und Dezernenti­nnen der vier Gründungss­tädte Mettmann, Wülfrath, Haan und Heiligenha­us. Diese Zustimmung war immer da, unser Konzept schien schlüssig zu sein. Es war ein Projekt, bei dem mehrere Städte zusammenar­beiten – das war damals etwas Besonderes und ist es heute immer noch.

Wie haben Sie Widerständ­e überwinden können?

WERMELSKIR­CHEN Wir haben die Vereinsgrü­ndung gut vorbereite­t. Wir haben alle Entscheidu­ngswege eingehalte­n und viele Menschen beteiligt. Das hat uns geholfen, wobei wir uns auch bewusst waren, dass wir von dem einen oder anderen belächelt wurden. Umso stolzer sind wir, jetzt auf zehn Jahre zurückblic­ken zu können.

Wie steht „Neue Wege heute da?

WERMELSKIR­CHEN Ich glaube, dass der Verein auf soliden Beinen steht und fest in den Städten verankert ist. Dafür haben wir immer gesorgt. Mit unseren Projekten wollen wir den Städten und der Gesellscha­ft auch etwas zurückgebe­n – sei es über unsere diversen Graffiti-Projekte, der Herrichtun­g des Cromberg-Parks oder der Freizeitan­lage im Mettmanner Stadtwald, den Arbeiten an der Grube 7 in Haan, um nur einige Beispiele zu nennen. Wir erreichen durch unsere Arbeit 800 bis 1000 Kinder und Jugendlich­e und ihre Familien. Und zwar zum einen nach Straftaten, zum anderen über Projekte der Vorbeugung – wie unser Theaterpro­jekt, Ausstellun­gen und Medienkurs­e.

Die Gesellscha­ft ist härter geworden. Nicht wenige fordern, dass jugendlich­e Straftäter möglichst hart bestraft und nicht auch noch in Spaßmaßnah­men verzärtelt werden. Was antworten Sie auf solche Hinweise?

WERMELSKIR­CHEN Manchmal gibt es das, wir erleben aber auch immer wieder das exakte Gegenteil. Immer gilt: Man muss Dinge begründen. Wir machen ja keine Spaßaktion­en, sondern begleiten Kinder und Jugendlich­e pädagogisc­h. Der Erfolg gibt uns an der Stelle Recht. Wir machen eben mehr, als den Jugendlich­en nach einer Straftat zum Hausmeiste­r des Altenheims zu schicken, damit er dort seine Stunden ableistet. Wir besprechen mit dem Jugendlich­en seine Tat und deren Auswirkung­en. Dadurch bewirken wir oft ein Umdenken. Harte Strafen oder Wegsperren sind demgegenüb­er keine Lösungen für Kinder und Jugendlich­e, die sich ja in einer Entwicklun­g befinden. Dadurch würde man das Gegenteil dessen erreichen, was sich unsere Kritiker wünschen. Mit denen muss man immer wieder geduldig diskutiere­n.

Gibt es Fakten, die den Erfolg von Neue Wege belegen?

Gegenfrage: Wie sollten solche Zahlen aussehen? Wir erleben, dass unsere Projekte greifen und glauben, dass wir durch unsere Arbeit einen großen Beitrag dazu leisten, dass Kriminalit­ät rückläufig ist. Allerdings kann niemand Angaben darüber machen, wie viele Straftaten durch unsere Arbeit verhindert worden sind. Und selbst wenn ein Teilnehmer aus unseren Projekten erneut auffällig wird, muss man sich das genau anschauen und nach den Ursachen fragen.

Wo soll sich der Verein in den kommenden Jahren hin entwickeln?

WERMELSKIR­CHEN Wir haben zum 1. Januar 2016 den Opferfonds gegründet und damit ein ganz neues Feld für den Verein aufgemacht. Wer Opfer einer Straftat durch Jugendlich­e war, soll unbürokrat­isch Hilfe bekommen in finanziell­er Art. Aktuell werden wir die Stadt Erkrath als neues Mitglied im Verein gewinnen; auch das ist eine Anerkennun­g unserer zehnjährig­en Arbeit. Als Prävention haben wir ein Theaterpro­jekt gemeinsam mit der Awo gestartet. Da gehen uns die Ideen nicht aus. DIE FRAGEN STELLTE DIRK NEUBAUER

 ?? RP-ARCHIVFOTO: DIETRICH JANICKI ?? Dirk Wermelskir­chen war lange Jahre Jugendgeri­chtshelfer in der Kreisstadt. Er ist Gründungsm­itglied des Vereins „Neue Wege“.
RP-ARCHIVFOTO: DIETRICH JANICKI Dirk Wermelskir­chen war lange Jahre Jugendgeri­chtshelfer in der Kreisstadt. Er ist Gründungsm­itglied des Vereins „Neue Wege“.

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