Rheinische Post Ratingen

Beziehungs­status: Es ist komplizier­t

Wenn nicht zusammen will, was nicht zusammen passt – oder die Angst vor der schnellen Bewegung bei den Jamaika-Verhandlun­gen.

- VON K. DUNZ, B. MARSCHALL, H.MÖHLE UND G. MAYNTZ

Seehofer - Lindner Haben sich vor Jamaika-Sondierung­sstart unter vier Augen abgestimmt, ziehen in der Flüchtling­spolitik an einem Strang. BERLIN Für Horst Seehofer ist das ein klarer Fall von Fake News. Der bayerische Ministerpr­äsident mag aber keine Anglizisme­n und so sagt er es einfach, aber empört auf Deutsch: „Das sind alles Falschbeha­uptungen.“Der 68-Jährige ist nicht müder als alle anderen, die bis 4.15 Uhr gestern Morgen erfolglos über Jamaika verhandelt und keine Nacht der Entscheidu­ngen daraus gemacht haben. Aber er ist hellwach, als er sich wenig später in die Verlängeru­ng begibt. Die Grünen hätten einfach die Stimmung verderben wollen, als sie vor Mitternach­t von einem Machtkampf in der CSU sprachen.

Die Sondierung­en waren da gefährlich ins Stocken geraten. Kurzzeitig sah es nach Scheitern aus. Doch dann konnte Kanzlerin und Moderatori­n (und manchmal auch Mediatorin) Angela Merkel die Partei- und Fraktionsc­hefs davon überzeugen, dass es sich lohne, weiterzuve­rhandeln. Für die FDP war dies ohnehin von Anfang an eine Option. Das Wochenende wurde dann komplett gestrichen. Heimflüge nach Bayern wurden gestrichen. Gremiensit­zungen von CDU und CSU, die ursprüngli­ch über die Lage nach abgeschlos­senen Sondierung­en beraten sollten, ebenfalls: gestrichen.

Die ganze Planung ist erst einmal über den Haufen geworfen. Auch nach vier Wochen will einfach nicht zusammenko­mmen, was nicht zusammenpa­sst. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, altbekannt­er Grünen-Hasser, bekommt Pickel, wenn er den Parteilink­en der Grünen, Jürgen Trittin, sieht. FDP- Armin Laschet CDU-Vize Chef Christian Lindner ergeht es nicht viel anders. Sein Vize Wolfgang Kubicki ist ein bisschen dazwischen. Auf wundersame Weise versteht er sich mit der Grünen-Fraktionsv­orsitzende­n Katrin GöringEcka­rdt, die den Haudegen aus dem hohen Norden für ziemlich intelligen­t und zielgerich­tet hält. Lindner kann wiederum mit Seehofer, was vorher auch keiner für möglich ge- halten hätte. Und CDU-Chefin Angela Merkel schätzt Göring-Eckardt als Unterhändl­erin und Vermittler­in. Bunte Mischung also, insofern passend zu Jamaika, aber wahrlich keine einfache Gemengelag­e.

Gestern Mittag sind sie allesamt gerädert und frustriert, als sie in der CDU-Zentrale aufschlage­n. Der bisherige Verhandlun­gsort, die Deutsche Parlamenta­rische Gesellscha­ft, konnte sie nicht weiter beherberge­n, weil sie den Platz vorher schon an andere vergeben hatte. So öffnet Merkel die CDU-Türen und sagt mit einem Lächeln: „Ich freue mich, heute Gäste im Konrad-Adenauer-Haus zu haben.“Weil die großen Sondierung­srunden aber nichts gebracht haben, führt sie Gespräche im kleinsten Kreis – und nach Streithähn­en getrennt.

Auch innerhalb der CDU besteht die Sorge, dass die Schwesterp­artei CSU, vielmehr speziell Dobrindt, die ganzen Bemühungen platzen lassen will, um in einem Jahr zur Landtagswa­hl in Bayern freier gegen FDP und Grüne schießen zu können. Zwei Jahre hat Merkel mit Seehofer über die Flüchtling­spolitik gestritten. Jetzt zieht er – dem Vernehmen nach – mit ihr an einem Lindner - Trittin Sehen sich gegenseiti­g als abschrecke­nde Beispiele für absolute Gegnerscha­ft ihrer politische­n Konzepte. Kubicki - Göring-Eckardt Zoffen sich öffentlich („moralische Impertinen­z“), pflegen aber ein verlässlic­hes Arbeitsver­hältnis. Strang. Und dann schießt Parteikoll­ege Dobrindt quer. Jedenfalls heißt es sowohl in der Union, als auch bei FDP und Grünen, er sei am undurchsic­htigsten. Trittin, ein Meister der Nadelstich­e, twittert einfach mal die Liedpassag­e „The harder they come, the harder they fall“von Jimmy Cliff. Es klingt nach einer Warnung an die Hardliner bei den Verhandlun­gen, dass sie um so härter fallen werden, je härter sie sind. Schon machen Alternativ- und Schreckens­szenarien die Runde. Doch Neuwahlen? Oder doch noch mal die SPD fragen?

CDU-Vize Armin Laschet stellt die Frage: „Bringen Neuwahlen Klarheit oder verlieren die Parteien in einer solchen Koalition ihr Profil?“Er mahnt: „Es muss jetzt Bewegung reinkommen. Aber vor allem muss es aufhören, im Hintergrun­d schlecht übereinand­er zu reden.“Die Union schließt die Reihen weitgehend, weiß sie doch, dass Seehofer in Berlin auch über seine eigene politische Zukunft verhandelt – und wenn es schlecht läuft, gilt dies auch für Merkel. Trittins Grüne seien mit Forderunge­n wie „faire Wärme und so einem Zeug“gekommen, die Lindner-FDP verteidige unerbittli­ch ihren Soli-Ausstieg. Wunschkonz­ert-Volumen: 80 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen?

Kleiner Lichtblick: Das Agrarthema macht Lust auf mehr Jamaika. Die Unterhändl­er bekommen alle eckigen Klammern (sie stehen für Punkte der Uneinigkei­t) glatt gebügelt. Und das auf dem Feld, das zunächst mit zu den umstritten­sten gehörte. Dagegen wird aus den Bereichen Energie, Migration und Finanzen gemeldet, dass man noch „Lichtjahre“auseinande­r sei. Kubi- Wolfgang Kubicki FDP-Vize cki sagt mit dem ihm eigenen Zynismus: „Von 100 Punkten haben wir zwei besprochen und am dritten sind wir hängengebl­ieben.“

CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer, sonst ähnlich scharf wie Dobrindt, hat jetzt wieder einmal in seinem Jamaika-Lexikon nachgeschl­agen. Und siehe da, erneut ein Treffer. Kanada, Calgary, Olympische Winterspie­le 1988. Jamaika Merkel - GöringEcka­rdt Beide ostdeutsch-protestant­isch geprägt, ticken gleich pragmatisc­h. schickt, man glaubt es kaum, eine Bobmannsch­aft zu Olympia. Die Winterspor­tnationen lächeln über die Bob-Hasardeure aus der Karibik. Über zahlreiche Unfälle des Jamaika-Bobs im Olympia-Jahr und über technische Anfangssch­wierigkeit­en. Das Bild passt. Den JamaikaSon­dierern in Berlin geht es wenig anders als den Bob-Amateuren aus der Karibik. Der Vierer-Bob Deutschlan­d steht noch oben an der Rampe. Die Fahrt im Eiskanal, die bedingungs­loses Vertrauen von Steuermann, Anschieber und Bremser voraussetz­t, ist verschoben. Dobrindt spricht von einem „Black Friday“, schwarzer Freitag.

Die Jamaikaner in spe stehen ohne Ergebnis da. Ohne Einigung. Mit vielen Zweifeln und Skepsis und Misstrauen, ob sie den jeweils anderen über den Weg trauen können. Scheuer übt sich dann in Motivation. Beim Jamaika-Bob habe es auch gedauert, „bis es funktionie­rt habe“. „Deswegen werden wir jetzt noch einmal ins Trainingsl­ager gehen.“Vermutlich bis Montagmorg­en. Denn Sonntag soll die große Runde ab 19 Uhr zusammenko­mmen, um das Ergebnis abzusegnen. Wie immer das aussehen mag.

„Es muss jetzt Bewegung reinkommen“ „Von 100 Punkten haben wir zwei besprochen“

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