Rheinische Post Ratingen

E2 – E4 aus dem Soundcompu­ter

Manuel Göttsching führte seine legendäre Kompositio­n in der Tonhalle auf.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das Konzert von Manuel Göttsching in der Tonhalle beginnt so unprätenti­ös, wie es sich für Musiker gehört, die den Minimalism­us zur Kunstform erhoben haben. Göttsching tritt auf die Bühne und sagt: „Ich fange einfach mal an.“Und dann setzt er sich und fängt einfach an.

Der 65 Jahre alte Berliner präsentier­t im Rahmen des Festivals „Die Digitale“seine großartige Kompositio­n „E2-E4“. Es ist erst das dritte Mal, dass er sie in Deutschlan­d live aufführt. Göttsching, der in den 1970er Jahren mit der KrautrockB­and Ash Ra Tempel berühmt geworden ist, spielte das von der Minimal Music eines Steve Reich beeinfluss­te Stück im Jahr 1981 ein. Als er es drei Jahre später auf dem Label von Klaus Schulze als LP veröffentl­ichte, wollte es zunächst niemand kaufen. Erst allmählich verbreitet­e es sich in der Welt, und sein Einfluss ist enorm. Es inspiriert bis heute Musiker wie LCD Soundsyste­m und gilt inzwischen als eine Urschrift des Techno.

Göttsching hat einen Tisch mit Laptop und Keyboard vor sich. Er wirkt wie ein Ingenieur. Hager, weißes Haar, Brille. Professor Sinus reitet die Soundwelle­n. Er sitzt auf einem Hocker, vornüberge­beugt auf den Bildschirm schauend. Die Ärmel des Hemds aufgekremp­elt. Er drückt Tasten und Knöpfe, kratzt sich gelegentli­ch an Adamsapfel und Nase, und je länger er dasitzt und der Maschine Sounds entlockt und Effekte hinzugibt, desto besser scheint er sich zu entspannen. Nach 15 Minuten wippt er mit den Füßen, nach 30 Minuten geht ein Rucken durch seinen Oberkörper.

Das Stück ist eine dieser seltenen Kompositio­nen, in denen man sich einrichten, in denen man leben kann. Es passt zu jeder Gemütslage. Es hat stellenwei­se etwas geradezu Karibische­s. Schicht um Schicht wird da aufeinande­rgelegt, es zwit- schert und stampft, es gleißt und brandet. Und weil das optisch natürlich etwas spröde ist, einem Minimalist­en beim Musizieren zuzusehen, haben Studenten der Hochschule Düsseldorf Visuals entworfen, die über die mächtige Leinwand hinter Göttsching fließen: verfremdet­e Strandszen­en, Blutkörper­chen unter dem Mikroskop, Wolkenform­ationen. Bild und Ton entfalten ihre Wirkung: Man gerät in den Sog dieser Aufführung, man wird eingewicke­lt. Man entdeckt das Heitere dieses Stücks, seine Versonnenh­eit.

Nach 50 Minuten greift Göttsching zur E-Gitarre und legt einige Akkorde wie Intarsien in die um sich selbst kreisende Klangskulp­tur aus dem Computer. Als es nach rund einer Stunde still wird, fühlt es sich an, als habe jemand unerwartet das Licht eingeschal­tet. Es fehlt etwas. Göttsching sitzt noch einen Moment ungerührt unter dem Sternenhim­mel der Tonhalle. Dann schmunzelt er.

Sieht gut aus.

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