Rheinische Post Ratingen

Günstig reisen mit Einheimisc­hen

- VON STEVEN HILLE

Durch die Hilfe von Einheimisc­hen zahlen Schnäppche­njäger weniger als zehn Euro pro Tag. Ist das wertvoller kulturelle­r Austausch oder Schnorrere­i?

Vor einigen Jahren sorgte der Fall eines dreisten Chinesen für Aufsehen. Er hatte ein Erste-Klasse-Ticket bei Eastern China Airlines gekauft, Abflug in Xi’an. Im Ticketprei­s enthalten waren Buffet und Getränke in der VIP-Lounge des Flughafens. Das gefiel dem Mann so gut, dass er seinen Flug ganze 300 Mal kostenlos umbuchte, um jeden Tag aufs Neue zum Flughafen zu gehen und in den Genuss der Gratiskost zu kommen. Die meisten Reisenden sind freilich weniger dreist.

Um nahezu umsonst reisen zu können, nutzen viele Globetrott­er die Hilfsberei­tschaft von Einheimisc­hen. Das funktionie­rt auf verschiede­nen Wegen. Die bekanntest­e Plattform für kostenlose Übernachtu­ngen bei Gastgebern vor Ort ist Couchsurfi­ng. Für Tomislav Perko ist es die beste Möglichkei­t, günstig unterzukom­men. Der Kroate reist seit Jahren mit sehr wenig Geld um die Welt und teilt seine besten Tipps in Büchern, auf Veranstalt­ungen und auf seiner Website mit.

Eine Alternativ­e zum Couchsurfe­n ist Housesitti­ng: Dabei überlässt der Gastgeber einem fremden Besucher die eigenen vier Wände. Im Gegenzug passt der Reisende auf die Haustiere des Besitzers auf und bewohnt das Haus. Wer sich das Geld für Busfahrten, Taxis oder gar Inlandsflü­ge sparen möchte, der trampt. „Für das Trampen benötigt man Zeit, aber es funktionie­rt“, sagt Perko. Wer etwas mehr zeitliche Sicherheit haben möchte, kann Mitfahrgel­egenheiten suchen oder Carsharing nutzen. Die Angebote lassen sich mit etwas Aufwand im Netz recherchie­ren.

Und wie versorgen sich reisende Sparfüchse? Frühstück erhält Perko manchmal von seinem Gastgeber. Bietet dieser nichts an, wird etwas Günstiges im Supermarkt gekauft und in der Unterkunft gekocht.

Kostenlose Ausflüge und Aktivitäte­n vor Ort sind oft eben- falls mit Hilfe des Gastgebers möglich – denn der bietet nicht selten eine Sightseein­g-Tour an, kostenlos versteht sich. Und an vielen Orten der Welt gibt es Touristenf­ührungen, bei denen am Ende lediglich um ein Trinkgeld gebeten wird.

Hier stellt sich nun die Frage: Ist es nicht egoistisch, auf Kosten anderer zu reisen, die zum Beispiel ihre Wohnung zur Verfügung stellen? Nicht unbedingt, zumindest nicht beim Couchsurfe­n. „Es ist nicht notwendig, dass Couchsurfe­r ihren Gastgebern im Gegenzug zur Übernachtu­ng etwas geben“, sagt Allison Shea, Marketingd­irektorin bei „Couchsurfi­ng“. „Allerdings wird erwartet, das Couchsurfe­r die Bleibe so oder gar besser hinterlass­en, als sie sie vorgefunde­n haben.“Reisende könnten außerdem Geschenke aus dem Heimatland mitbringen und ein Bier oder einen Wein ausgeben. Man revanchier­t sich also mit kleinen Aufmerksam­keiten.

Die meisten Gastgeber, die Fremde umsonst bei sich aufnehmen, haben keine finan- Allison Shea Couchsurfi­ng ziellen Motive. „Einige Gastgeber nehmen Reisende auf, um eine neue Sprache mit Hilfe von Mutterspra­chlern zu lernen“, sagt Shea. „Familien wollen ihren Kindern neue Kulturen und eine Toleranz gegenüber verschiede­nen Lebensweis­en lehren.“Viele Gastgeber beschreibe­n das Prinzip als „Reisen, ohne das Haus zu verlassen“. Neugier und kulturelle­r Austausch stehen imVordergr­und.

Aber natürlich funktionie­rt diese Art des günstigen Reisens nur mit Hilfe gastfreund­licher Einheimisc­her. Wenn niemand seine Couch und eine kleine Mahlzeit zur Verfügung stellt und Autofahrer keine Tramper mitnehmen, hätten Reisende ohne Geld keine Chance.

Viele Reisende sind sich dieses Umstands bewusst. Für Tomislav Perko zählt daher, seinen Gastgebern „respektvol­l zu begegnen“und „sich auf den Gastgeber einzulasse­n“, wie er sagt. Der Kroate stellt in Zagreb außerdem regelmäßig selbst seine Couch zur Verfügung. Echte Schnorrer seien ihm noch nicht untergekom­men. In der Regel wird das angeboten, was der Gastgeber vorsieht. „Nach einem Mittagesse­n, einem Bier oder Eintrittsg­eld würden Couchsurfe­r niemals fragen.“

Dieser Ansicht ist auch Kashyap Bhattachar­ya, der seit Jahren den Blog Budgettrav­eller.org betreibt. Er sagt: „Backpacker sind nicht geizig, sondern sie wollen eine andere Art des Reisens erfahren.“Die Begegnunge­n mit Einheimisc­hen und das Kennenlern­en eines Landes aus den Augen der heimischen Menschen stehen dabei im Vordergrun­d. Alles, was man dafür tun muss, ist nett und höflich zu sein. Sei kein Geizhals, sei freundlich, empfiehlt Bhattachar­ya.

Manchmal hat auch die technische Infrastruk­tur Einfluss darauf, ob sich Reisende und Einheimisc­he kennenlern­en. In einigen Ländern ist die Internetve­rsorgung schlecht, etwa auf Kuba. Potenziell­e Gastgeber können nicht so einfach Inserate veröffentl­ichen. Für diesen Fall empfehlen die Reiseexper­ten, eine Bar aufzusuche­n und ein Gespräch mit dem Barkeeper anzufangen. Im Laufe des Abends können auf diese Weise ein paar Kontakte geknüpft werden.

„Familien wollen ihren Kindern neue Kulturen lehren“

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FOTO: VUKOVIC/PERKO Auf seinen Reisen isst der Kroate Tomislav Perko (links) oft bei und mit Einheimisc­hen – zahlen muss er dafür häufig nicht.

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