Rheinische Post Ratingen

INFO Der erste Abgeordnet­e mit türkischer Herkunft

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Welche kritischen Debatten erwarten Sie morgen auf dem Parteitag?

ÖZDEMIR Es mag auch Kritik geben. Aber insgesamt war die Partei nach meinem Eindruck sehr zufrieden, wie wir das gemacht haben. Mit unseren Videos nach den Sondierung­srunden haben wir Transparen­z nach innen geschaffen und versucht, die Partei immer mitzunehme­n. Unser 14-köpfiges Sondierung­steam hat die ganze Breite und Vielfalt von Bündnis 90/Die Grünen abgebildet. Ich bin stolz auf meine Partei, dass sie so standhaft und geschlosse­n geblieben ist, obwohl wir bis an die Schmerzgre­nze und manchmal darüber hinaus gegangen sind im Ringen um Kompromiss­e in der Verantwort­ung für unser Land. Das spricht sehr für die Reife der Grünen.

Aber Sie haben in der Flüchtling­spolitik doch erhebliche Zugeständn­isse gemacht. Davon, dass Sie die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsl­änder akzeptiert haben, kommen Sie jetzt nicht mehr herunter.

ÖZDEMIR Wir haben ein Programm, und das gilt. Alle Kompromiss­e standen unter dem Vorbehalt einer tragfähige­n Gesamteini­gung, die leider nicht mehr zustande kam. Um an anderer Stelle Verbesseru­ngen für Geflüchtet­e zu sichern, wären wir bereit gewesen, die Frage der sicheren Herkunftsl­änder auf europäisch­er Ebene zu lösen, denn dort wird sie derzeit ohnehin verhandelt. Von politische­r Verfolgung besonders bedrohte Gruppen – das sind etwa Blogger, Journalist­en, Homosexuel­le – hätten aber durch unser Asylrecht weiter besonders geschützt bleiben müssen. Rücknahmea­bkommen mit den MaghrebSta­aten hatten wir schon im Wahlkampf gefordert.

Sagen die Grünen jetzt auch Ja zur Begrenzung der Flüchtling­e auf mehr oder weniger 200.000 im Jahr?

ÖZDEMIR Wir haben diese Zahl zwar als Planungsra­hmen, aber nicht als Begrenzung akzeptiert. Es war zugleich immer klar, dass es mit uns keine Einschränk­ung des Asylrechts im Grundgeset­z und keine Einschränk­ung der Genfer Flüchtling­skonventio­n geben wird. Mit einem Einwanderu­ngsgesetz mit Spurwechse­l für gut integriert­e Asylbewerb­er und dem Familienna­chzug für subsidiär Geschützte hätten wir ein Paket schnüren können, das Humanität und Ordnung zusammenbr­ingt. Mein Eindruck war, dass zumindest die CDU/CSU sich in diese Richtung bewegt hat.

Bei einer Neuwahl nehmen Sie ansonsten Ihr altes Wahlprogra­mm?

ÖZDEMIR Es gibt keinen Grund, dass wir unser Wahlprogra­mm außer Kraft setzen. Bei der Ehe für alle gibt es natürlich Aktualisie­rungsbedar­f. Die haben wir ja schon vor der Wahl durchgeset­zt. Und den Abbau des Privat 1965 als Sohn türkischer Gastarbeit­er in Bad Urach geboren, macht Özdemir in Reutlingen eine Ausbildung zum Erzieher. Später holt er das Abitur nach und studiert Sozialpäda­gogik. Er ist verheirate­t, hat zwei Kinder und sieht sich als „säkularer Muslim“. Politik Seit 1981 Grünen-Mitglied, beantragt er im selben Jahr die deutsche Staatsbürg­erschaft. Von 1989 bis 1994 im Landesvors­tand Baden-Württember­g, zieht Özdemir 1994 als erster Abgeordnet­er türkischer Herkunft in den Bundestag ein. Seit 2008 ist er Parteichef. Solidaritä­tszuschlag­s würde ich nicht grundsätzl­ich verweigern, wenn gewährleis­tet ist, dass dadurch gezielt Menschen mit unteren und mittleren Einkommen entlastet werden. Aber ich sage klipp und klar: Unser Programm gilt und ist immer Ausgangspu­nkt unserer Bewegung.

Hat sich durch die Sondierung­en das Verhältnis zur Union verändert?

ÖZDEMIR Wir haben ja nicht bei null angefangen. Auf Bundeseben­e ist das Entscheide­nde, dass die Union aus zwei Parteien besteht. Die CSU ist für uns in der Flüchtling­s- und Klimapolit­ik natürlich ein schwierige­r Partner. Im Wahlkampf haben Alexander Dobrindt und ich nicht ohne Grund keine Gelegenhei­t ausgelasse­n, den jeweils anderen hart anzugreife­n. Es war sicherlich hilfreich, dass wir uns jetzt mal vier Wochen gegenseiti­g zugehört haben. Es war hart, manchmal wurde es auch laut. Aber es war die Bereitscha­ft da: Wir müssen das für das Land hinkriegen. Daraus ist Respekt voreinande­r gewachsen. BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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