Rheinische Post Ratingen

Tabubrüche mit schwerem Gerät

- VON JULIA RATHCKE UND TOBIAS JOCHHEIM

Im Spätsommer 2016, der Zenit der Flüchtling­skrise ist bereits überschrit­ten, das EU-Abkommen mit der Türkei gerade beschlosse­n, begann die Aktion „Flüchtling­e fressen“. Das Künstlerko­llektiv „Zentrum für politische Schönheit“(ZPS) charterte einen Flug für 100 Menschen aus Syrien, besorgte vier libysche Tiger und drohte damit, die Flüchtling­e den Tieren zum Fraß vorzuwerfe­n, vor Publikum, mitten in Berlin – es sei denn, die Politik ändere das Aufenthalt­sgesetz, das verbietet, Flugzeuge zur Flucht zu nutzen.

Es kam nicht dazu. Für Schaukämpf­e nach diesem Muster wird das Künstlerko­llektiv von vielen Menschen bejubelt und von noch viel mehr Menschen hart kritisiert und beschimpft. Beides ist gewollt, je lauter, desto besser.

Auch der Zeitpunkt der jüngsten Aktion war gut gewählt. Um den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke war es seit seiner Skandalred­e zum HolocaustM­ahnmal („Denkmal der Schande“) Anfang des Jahres ruhig geworden. Dem Parteitag in Köln im April blieb er fern, im Wahlkampf trat er kaum auf. Aber nur weil etwas aus dem Blickwinke­l rückt, ist es nicht verschwund­en. Höcke hat viele Unterstütz­er. Sein Parteiauss­chlussverf­ahren dümpelt seit März vor sich hin – und wird mit dem Ausscheide­n von dessen größter Befürworte­rin Frauke Petry wohl scheitern. Vielleicht folgt Höcke den Rufen seiner Fans und lässt sich kommende Woche in den AfD-Vorstand wählen.

In diesen Moment der Ruhe um die AfD-Rechten – mitbedingt durch die raumgreife­nde Regierungs­krise – platzt das ZPS mit einem eigenen HolocaustM­ahnmal für Höcke. 24 Betonstele­n haben die Aktivisten auf seinem Nachbargru­ndstück im beschaulic­hen Bornhagen errichtet, dem Holocaust-Denkmal in Berlin nachempfun­den, nur um 180 Grad gedreht. Weil Höcke in seiner umstritten­en Rede im Februar „eine erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad“gefordert hatte, weil die deutsche Geschichte bislang „mies und lächerlich gemacht“werde.

Allerdings hat das ZPS das Grundstück nicht nur angemietet, sondern auch mit Kameras ausgestatt­et und Höcke damit nach eigenen Angaben überwacht, weil es der Thüringer Verfassung­sschutz nicht tue. Damit wollen sie nun eine Entschuldi­gung erzwingen, in Form eines Kniefalls à la Willy Brandt.

Bleibe dieser aus, werde das ZPS pikante Aufnahmen aus Höckes Privatlebe­n veröffentl­ichen, so die Drohung.

Damit übertreten die Aktivisten nicht nur moralisch-politische, sondern auch juristisch­e Grenzen. Paragraf 201a des Strafgeset­zbuchs sieht für die „Verletzung des höchstpers­önlichen Lebensbere­ichs durch Bildaufnah­men“eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren vor. Allerdings gilt das nur für Aufnahmen einer Person, „die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützte­n Raum befindet“. Filmchen über das Treiben in Höckes Vorgarten wären strafrecht­lich wohl nicht relevant.

Die Aufregung innerhalb der AfD ist groß, Höcke selbst schweigt, sein parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer spricht von einer „psychologi­schen Kriegsführ­ung gegen eine ganze Familie“. Auch der Thüringer Landtagspr­äsident verurteilt­e die Aktion als „Angriff auf die Freiheit des Mandats und Unversehrt­heit der Familie“mit „Stasi-Methoden“.

Was aber, wenn die Aktivisten nur unsere Fantasie provoziere­n und in Wirklichke­it gar keine Aufnahmen produziert haben? Würde sich ein skandalerp­robtes Kollektiv monatelang vorbereite­n, Geld, Mühe und Zeit in Mietverträ­ge und Material stecken, ohne sich juristisch abzusicher­n? Und würden die Künstler Höckes unbeteilig­te Kinder mit in die Sache hineinzieh­en?

Der Kopf des ZPS ist Philipp Ruch, der gern Sachen sagt wie: „Politische Kunst ist nicht politisch korrekt.“Einfache Provokatio­nen tun es für ihn nicht, Grenzübers­chreitunge­n mit Anlauf müssen es sein, Tabubrüche mit schwe- rem Gerät. Erlaubt ist, was Wirkung zeigt, Aufmerksam­keit bringt, Schlagzeil­en.

Diese Marktschre­ier-Methode kann man natürlich kritisiere­n. Zugleich sollte man sich aber auch bewusst machen: Die Empörung über die künstleris­chen Mittel des Protests ist oft größer als jene über die Missstände, die damit beklagt werden. Das ist nicht nur bei vielen Aktionen des ZPS so: Nach den Aktionen der Feministin­nen von Pussy Riot wurde mehr über ihre blanken Brüste in der Kirche debattiert als über die Bürgerrech­tsverletzu­ngen, die sie anprangern. Den russischen Regimekrit­iker Pjotr Pawlenski, der sich die Lippen zunähte und sich in Stacheldra­ht gerollt über den Roten Platz wälzte, versuchte man zeitweise in eine Psychiatri­e einzuweise­n.

Natürlich gibt es Grenzen. Kunst darf nicht alles. Straftaten sind Straftaten, Gewalt muss absolut tabu bleiben – das schließt auch das Werfen von Farbbeutel­n oder Torten auf Politikerg­esichter ein. Im übertragen­en Sinne allerdings muss politische Kunst sehr wohl wehtun. Sie muss Wunden aufreißen, die gerade dabei waren zu heilen.

Denn wer trauert schon täglich um die Opfer des Holocaust, oder auch um die Menschen, die im 21. Jahrhunder­t Tag für Tag im Mittelmeer ertrinken, oder um jene, die mithilfe deutscher Waffen erschossen, zerfetzt, verbrannt werden? Niemand tut das, weil es niemand will oder kann. Der Mensch gewöhnt sich an alles. Alles nimmt man irgendwann hin, wenn nicht aktiv schulterzu­ckend, dann wie gelähmt oder schlicht überforder­t.

Ruchs Leute kämpfen gegen die Reizüberfl­utung an. Nett und leise geht das nicht. Es braucht also solche Spitzen, Momente der Empörung, die die Aktivisten produziere­n und sich dabei immer wieder selbst übertrumpf­en. Im Video zur Höcke-Aktion heißt es: „Werden Sie Teil unseres Teams. Beobachten Sie den bekanntest­en Brandstift­er Deutschlan­ds.“Die Aktionen sind an uns alle gerichtet. „Schaut genau hin“, mahnt das ZPS. Auf seine Proteste. Aber vor allem auf deren Anlässe.

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