Rheinische Post Ratingen

SPD-Kehrtwende bringt Schulz in Erklärungs­not

Die Parteispit­ze will nun doch für alle Gespräche offen sein. Der Rückhalt für den Vorsitzend­en dürfte bei einer großen Koalition bröckeln.

- VON JAN DREBES

BERLIN Fragen ließ Martin Schulz nicht zu, als er gestern vor die Mikrofone im Willy-Brandt-Haus trat. Die Botschaft des SPD-Chefs sollte für sich stehen, abgelesen von einem Blatt Papier. Sinngemäß ging diese so: Wir, die SPD-Führung, können keine Koalition mehr ausschließ­en. Das sei der neuen Lage geschuldet nach dem klaren Appell des Bundespräs­identen für eine Regierungs­bildung ohne Neuwahl. Wörtlich sagte Schulz: „Die SPD ist sich ihrer Verantwort­ung für Deutschlan­d, aber in besonderer Weise auch ihrer Verantwort­ung für Europa sehr wohl bewusst.“Es gebe „keinen Automatism­us in irgendeine Richtung“, so der Parteichef.

Damit schloss Schulz erstmals seit dem Wahlabend eine große Koalition nicht mehr aus. Aber auch die Tolerierun­g einer unionsgefü­hrten Minderheit­sregierung ist denkbar. Das bricht mit zwei Dogmen, denen sich Schulz und seine Partei in der jüngsten Vergangenh­eit verschrieb­en hatten: Unter keinen Um- ständen in eine große Koalition und mit aller Härte in die Opposition­sführung zu gehen. Wie aber soll Schulz diese Kehrtwende der Basis und den Wählern erklären – zumal es am Montag ja noch einen anderslaut­enden Vorstandsb­eschluss gab?

Auffällig ist nun, wie sehr prominente Genossen betonen, dass es noch lange keine Festlegung etwa auf die große Koalition gebe. Insbesonde­re der linke Flügel bewirbt etwa die Tolerierun­g einer Minderheit­sregierung. Matthias Miersch, Chef der Parlamenta­rischen Linken, sagte: „Ich bin für jede Lösung zwischen Neuwahlen und großer Koalition offen.“Die noch amtierende Juso-Chefin Johanna Uekermann wurde deutlicher: „Die große Koalition wäre der Todesstoß für das letzte Fünkchen Glaubwürdi­gkeit, das wir als SPD noch haben“, sagte sie.

Bislang waren die Nachwuchsg­enossen treue Schulz-Unterstütz­er. Mit einer großen Koalition könnte sich das schlagarti­g ändern. Zwar ist noch völlig unklar, ob es tatsächlic­h zu einer großen Koalition kommt. Dass diese Variante Schulz jedoch in Bedrängnis brächte, ist absehbar. Schließlic­h wurde er dafür gefeiert, der „Groko“eine Absage erteilt zu haben. Dieser Ausruf rettete ihn über das desaströse Wahlergebn­is von 20,5 Prozent hinweg.

Dennoch dürfte Schulz beim Parteitag übernächst­e Woche im Amt bestätigt werden. Ihm hilft, dass kein anderer Spitzengen­osse gegen ihn aufbegehrt. Und dass es Donnerstag­nacht Gerüchte über einen Putsch gegen ihn gab. Umso geschlosse­ner gaben sich die Vorstandsm­itglieder und betonten, wie offen und ehrlich man miteinande­r gesprochen habe.

Über das Zustimmung­sverfahren für Koalitione­n könnte es unterdesse­n noch Debatten geben. Die Chefin der Arbeitsgem­einschaft sozialdemo­kratischer Frauen, Elke Ferner, forderte zwei statt nur ein Votum. „Wir sollten unsere Mitglieder befragen, ob die SPD Sondierung­sgespräche beziehungs­weise Koalitions­verhandlun­gen aufnehmen soll“, sagte sie, und: „Ein vorliegend­es Ergebnis braucht in jedem Fall eine Zustimmung der Mitglieder.“

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