Rheinische Post Ratingen

Freiraum am Wir-Tag

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Nordrhein-Westfalen will die Zahl der verkaufsof­fenen Sonntage verdoppeln. Von Entfesselu­ng spricht die Regierung, in Wahrheit aber ist es Raubbau.

Wie schön, dass es ihn gibt – den Wir-Tag. Ich schätze den Wir-Tag sehr! Einmal pro Woche unterbrich­t er Alltag und Hektik und macht jede Menge Wir möglich: Meine Frau und ich frühstücke­n in Ruhe gemeinsam. Wir treffen unsere Kinder oder besuchen Freunde. Wir gehen gemeinsam in ein Konzert. Wir fahren Rad oder gehen gemeinsam mit Freunden spazieren. Wir treffen uns zum Gottesdien­st in der Kirche.

Einmal in der Woche schafft der Sonntag für die weit überwiegen­de Zahl der Menschen in unserem Land Frei-Zeit und Frei-Raum für Körper, Geist und Seele – und er schafft Frei-Zeit und Frei-Raum für Gemeinsame­s, was unter der Woche nur mühsam möglich ist, wenn Beruf, Schule und andere Verpflicht­ungen in der Familie oder unter Freunden kaum unter einen Hut zu bringen sind. Der Sonntag bietet vielen Menschen gemeinsame Zeit.

Ja, klar, gemeinsam einkaufen gehen zu können, das passt ebenfalls nur schwer in den familiären Alltagspla­n und könnte auch am Sonntag erledigt werden. Aber ist es die gemeinsame Shoppingto­ur wert, dass dafür so viele Menschen – vor allem Frauen – im Einzelhand­el ihrer Frei-Zeit, ihres Frei-Raums und ihres Wir-Tags beraubt werden?

Für die NRW-Landesregi­erung ist es das offenbar wert. Sie setzt auf die Verdoppelu­ng der verkaufsof­fenen Sonntage und auf die Ausdehnung der Ladenöffnu­ngszeiten an Samstagen bis Mitternach­t. „Entfesselu­ngspaket“klebt als Etikett auf diesem Vorhaben, von dem man sich Rettung für den Einzelhand­el verspricht, der mit der Konkurrenz rund um die Uhr erreichbar­er Onlinehänd­ler zu kämpfen hat.

Mir ist der Preis, den viele Beschäftig­te im Einzelhand­el und am Ende auch wir als Gesellscha­ft insgesamt für diese Politik zahlen müssen, zu hoch. Für mich bedeutet diese Entfesselu­ng Raubbau an dem, was menschenfr­eundlich ist, an dem, was zu unserer Kultur gehört, und an dem, was unsagbar wertvoll für das Wir ist: gemeinsame Zeit. Und gottverges­sen ist’s am Ende auch noch, denn nach der biblischen Überliefer­ung verdanken wir Gott dem Schöpfer den Ruhetag – seinen Ruhetag für ihn, für uns, fürs Wir. Denn Wir sind mehr als Arbeiten, Verdienen und Kaufen. Morgen ist wieder Wir-Tag. Machen Sie gemeinsam mit anderen etwas draus! Der rheinische Präses Manfred Rekowski schreibt hier an jedem vierten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de.

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