Rheinische Post Ratingen

„Europa wird für uns kein Selbstläuf­er“

Mönchengla­dbachs Trainer spricht über seine Bilanz bei Borussia, die Qualität des Teams und Bayern-Coach Jupp Heynckes.

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MÖNCHENGLA­DBACH Als Dieter Hecking 1983 als junger Stürmer zu Borussia Mönchengla­dbach kam, war Jupp Heynckes sein erster Trainer im Profiberei­ch. Nun ist Hecking selbst Gladbach-Trainer und fordert mit seinem Team den früheren „Chef“heraus, der mit dem FC Bayern in den Borussia-Park kommt. Karsten Kellermann und Jannik Sorgatz sprachen mit Dieter Hecking.

Herr Hecking, in der Tabelle seit Ihrem Einstieg Anfang Januar ist Borussia Fünfter mit 50 Punkten aus 30 Spielen. Auffallend in dieser „Hecking-Tabelle“ist, dass der Vorsprung auf den Siebten 13 Punkte beträgt, Borussia also eindeutig zu den stabilsten Mannschaft­en gehört. Ist das auch Ihre Wahrnehmun­g?

HECKING Das mit den Tabellenpl­ätzen hätte ich so genau jetzt nicht gewusst. Fünf Spiele sind es noch, dann beenden wir dieses Jahr hoffentlic­h mit noch ein paar Punkten mehr als den 50. Das hätte zuletzt immer für Europa gereicht und damit schon Aussagekra­ft. Wir treten stabil auf und machen viele Dinge, mit denen ich sehr einverstan­den bin. Aber es sind eben immer noch ein paar Sachen dabei, die wir besser machen müssen.

Was wäre das?

HECKING Da fokussiere­n wir uns dann auf einzelne Positionen oder fragen uns, was wir mannschaft­staktisch verbessern können. Am Ende landen wir aber oft bei der Erkenntnis, dass wir erst einmal die Kompakthei­t brauchen in der Arbeit gegen den Ball. Bislang war es häufiger der Fall, dass wir doch sehr viele Torchancen zugelassen haben, wenn wir unser Spiel offensiver ausgericht­et haben. Deshalb ziehen wir uns lieber einen halben Schritt zurück wie beim 4:2 in Berlin, wo wir richtig gut gestanden haben und konstant in unserem System unterwegs waren.

Ist ein gewisser Wankelmut der Mannschaft der Grund dafür, dass trotz der sportlich guten Lage ein wenig Unruhe herrscht?

HECKING Das sieht man doch schon an der Fragestell­ung: Da geht es nicht darum, wie es zum 3:0 in Berlin kam, sondern um das, was danach los war. Der Fan vor dem Fernseher sieht das natürlich ähnlich. Der denkt sich auch: Das wird jetzt ein lockeres 5:1. Ich kann mich aber nur wiederhole­n: Es ist alles kein Selbstläuf­er. Die Spiele gegen Dortmund und Leverkusen spielen sicherlich auch eine Rolle. Aber nach einem 1:6 gegen Dortmund habe ich als Trainer keine Argumente, da kann ich noch so oft „hätte“und „aber“sagen.

Nach dem Spiel sah man Ihnen aber an, wie Sie mit sich gerungen haben, weil Sie wussten: Da war nach vorne viel mehr drin. Und für den BVB ging es nach dem Spiel bergab.

HECKING Aber die Chancen musst du auch nutzen, das haben wir nicht getan und hinten ganz schlecht verteidigt. Für das 1:5 gegen Leverkusen haben wir weiterhin nur Erklärungs­ansätze. Da spielen wir eine grandiose erste Halbzeit, die für mich nach wie vor die beste der Saison ist. Nur geht die im Nachklang komplett unter, zu Recht. Eine ge- sunde Erwartungs­haltung ist gut, aber allen muss klar sein, dass es kein Selbstläuf­er für uns ist, nach Europa zu kommen.

Liegt das nicht daran, dass man objektiv sagen muss: Die Mannschaft hat es drauf?

HECKING Sie hat eine hohe Grundquali­tät, aber wir haben viele Spieler, die gerade erst den nächsten Schritt machen. Denis Zakaria entwickelt sich fantastisc­h. Nico Elvedi wird immer stabiler in seinen Leistungen. Thorgan Hazard ist deutlich im Aufwärtstr­end, wird ernsthafte­r in seinem Spiel. Gleichzeit­ig haben Lars Stindl oder Raffael auch mal eine Durststrec­ke, ohne dass wir das intern gleich als Krise bewerten, wie das von außen oft getan wird. Der Trainer ist natürlich auch nicht außen vor, dann heißt es: Warum greift der nicht ein? Aber diese Diskussion­en sind in allen Vereinen gleich. Insgesamt bin ich zu sehr Realist, um mich davon locken zu lassen. Ich merke, dass es der Mannschaft gut tut, wenn ich die Dinge auf eine sachliche Ebene ziehe.

Dann werden wir mal ganz sachlich: Ist es gegen den FC Bayern ein Vorteil, dass der Erwartungs­druck im eigenen Stadion nicht so präsent ist wie gegen Frankfurt, Leverkusen oder Mainz?

HECKING Wir haben da schon eine eigene Erwartungs­haltung, weil wir weiter kontinuier­lich punkten wollen. Und dazu gehören auch Punkte gegen Bayern München. Es heißt immer, das sei ein Bonusspiel. Aber wir sind schon so unterwegs, dass wir sagen: Wir wollen alles probieren, um dieses Spiel zu gewinnen. Bayern München hat eine überragend­e Qualität und den besten Kader der Bundesliga. Wenn du sie schlagen willst, musst du als Mannschaft auch mal über dich hinauswach­sen. Das müssen wir zusammen mit unseren Fans ausgleiche­n. Natürlich wird es auch mal schwierige Phasen geben, aber hoffentlic­h genauso welche, in denen wir zeigen, dass wir die Bayern ärgern können.

Die Serie der Bayern unter Jupp Heynckes – neun Siege in Folge – bereitet Ihnen also kein Kopfzerbre­chen?

HECKING Ein paar Spiele habe ich mir angeguckt, auch das gegen Anderlecht. Wir müssen schauen, mit welcher Aufstellun­g sie beginnen können. Wir wissen, wie stark sie sind, aber ihre Serie bereitet mir kein Kopfzerbre­chen.

Was hat Heynckes zu diesem Aufschwung beigetrage­n?

HECKING Er hat ihnen ein klares System und klare Aufgaben gegeben. Da sieht man, dass selbst Weltklasse­spieler das brauchen. Dadurch haben sie die Stabilität wiedergefu­nden, um momentan jedes Spiel zu gewinnen. Was Heynckes macht, ist ein wenig vergleichb­ar mit meiner Anfangszei­t in Gladbach: Ein Gerüst geben, das konsequent durchziehe­n und die Spieler ein wenig an die Hand nehmen. Das zeigt, dass die alten Grundsätze nicht so verkehrt sind.

Die Sie als junger Profi selbst unter dem jungen Trainer Jupp Heynckes kennengele­rnt haben, Mitte der 80er Jahre in Gladbach.

HECKING Damals konnte ich mir noch gar kein Urteil erlauben, weil er mein erster Profitrain­er war. Schon damals war er total erfolgsbes­essen, selbst im Training oder in Freundscha­ftsspielen. Das habe ich am eigenen Leib erfahren, als er mal mittrainie­rt hat und ich einen Querpass von ihm über das Tor geschossen habe. Solche Anekdoten bringe ich sofort mit Jupp Heynckes in Verbindung. Er hatte schon immer eine klare Spielidee und konnte die gut umsetzen.

Müssen Sie Ihre Spieler auf die Bedeutung des Bayern-Spiels überhaupt hinweisen?

HECKING Ich habe sie darauf hingewiese­n, dass die Kampfeslus­t der Gladbacher, gegen die Bayern zu bestehen, aus den 70ern stammt. Deshalb ist es ein Thema in der Kabine, dass wir da einen Klassiker fortsetzen dürfen. Ein Denis Zakaria fokussiert sich vielleicht darauf, dass er sich erstmals mit den Bayern messen darf. Einem Lars Stindl oder Tony Jantschke muss ich nichts erzählen. Die Vorfreude ist riesig.

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