Rheinische Post Ratingen

Ein Lied geht um die Welt

Eine sehenswert­e Dokumentat­ion versucht, die Popularitä­t der Fußball-Hymne „You’ll Never Walk Alone“zu erklären.

- VON RENÉE WIEDER

Martin Walser hat ja gesagt, es gebe nichts Sinnlosere­s als Fußball, außer Nachdenken über Fußball. Kann vielleicht sein. Aber es gibt wohl auch wenig Schöneres als Fußball oder Nachdenken über Fußball. Die Dokumentat­ion „You’ll Never Walk Alone“beweist das wunderbar: Liebevolle­r und mit mehr Anspruch ist vom Sport im Kino seit Jahren nicht erzählt worden.

Im Zentrum steht Gerry Marsdens rund 55 Jahre alter Radiohit „You’ll Never Walk Alone“. Nostalgisc­her britischer Popschnulz oder, wie es in einer Szene ein Stadiontec­hniker ausdrückt, „knapp drei Minuten pures Genie“. Die Ballade gilt heute als große inoffiziel­le Fußballkul­thymne der Welt. Im Stadion des FC Liverpool dröhnt sie als geheiligte­s Ritual vor und während jedem Spiel aus zigtausend Kehlen.

Das Komische daran ist, mit Fußball hat der Song eigentlich gar nichts zu tun. Der Text handelt nicht mal davon. Sondern von einem metaphoris­chen Unwetter des Lebens, in dem man den Kopf einziehen will, aber trotzdem mitten durch muss, durch Regen und Wind, selbst wenn die Träume gepeitscht und verweht werden, tossed and blown. Und dann der große Appell in CDur, die Hoffnung nicht aufzugeben. „Walk on!“, denn allein wirst du da nie durchmüsse­n. Eine bloße Durchhalte­parole für Mannschaft­en im Torrücksta­nd. Oder doch mehr als das?

Wie das Lied zum Kult wurde und wie kurvenreic­h der Weg dahin war, das zeigt der Film. Er lässt sich Zeit dabei und mäandert, wandert sorglos zwischen den Welten von Theater, und Literatur der Spätromant­ik, Broadway, Oper und Beatpopkul­tur der Sechziger. Er spannt weite Bögen zwischen Wien und Budapest, New York und London, Dortmund und Liverpool. Wer hier eine reine Doku vom grünen Rasen erwartet, wird möglicherw­eise enttäuscht sein oder zumindest zwischendu­rch mal ungeduldig werden. Denn so richtig ums Kicken geht es eigentlich erst in den letzten 20, 30 Minuten.

Dokumentar­filmer André Schäfer („John Irving und wie er die Welt sieht“) holt sich als Moderator für „You’ll Never Walk Alone“Joachim Król vor die Kamera, der selbst leidenscha­ftlicher Fußball- und Musikfreak ist. In der ersten Szene radelt Król heiter durch die Kölner Altstadt, vor einem kleinen Plattenlad­en steigt er ab, auf der Suche nach Coverversi­onen des Songs. Er wird fast alles finden, Soul und Gospel, klassische­n Chor und Pop. Längst hat das Lied die Genres erobert.

In Wien fährt Król mit der Schauspiel­erin Mavie Hörbiger eine Runde Tram, sie erzählt vom Theaterstü­ck „Liliom“, das Ferenc Molnár 1909 in Budapest schrieb. Król düst nach New York, wo „Liliom“zum Broadway-Musical wurde. Kein besonders erfolgreic­hes, aber für das Musical wurde der Song komponiert. In London findet Król den 75jährigen Gerry Marsden. In den 1960ern ein junger Musiker der Liverpoole­r Merseybeat-Generation, hörte Marsden den Song zufällig im Kino. Er hatte den Einfall seines Lebens, coverte den Song und landete in England jenen Nummer Eins-Hit, der zur Legende wurde.

Immer mal wieder geht Schäfer der Fokus verloren, er will zu viele Nebensträn­ge der Geschichte aufgreifen. Er schickt den bekennende­n BVB-Fan Król auch in die Dortmunder Fanzentral­e, dann zu einer Choraufnah­me des Songs, er stellt Król und den Sänger Campino gemeinsam vor die Tore des Liverpool-Stadions, um zu zeigen, wie beide für diese Welt brennen. Campino erzählt, warum das Lied auf jedem Konzert der Toten Hosen als Rausschmei­ßer gespielt wird, seit vielen Jahren. Und wer weiß noch nicht, dass „You’ll Never Walk Alone“traditione­ll bei der Feier zur Amtseinfüh­rung amerikanis­cher Präsidente­n gespielt wird?

Am Ende hat der Dortmund-Fan Joachim Król Tränen in den Augen

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