Rheinische Post Ratingen

Von wegen Dickschäde­l

Der Mönchengla­dbacher Fußballpro­fi Christoph Kramer hat sich bei einem Zusammenpr­all am Kopf verletzt. Immer wieder erleiden Spieler schwere Gehirnersc­hütterunge­n. Neurologen warnen vor den Folgen und fordern mehr Aufklärung.

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Die Krankensch­wester im Mönchengla­dbacher Spital Maria Hilf war durchaus erstaunt über die Fülle an prominente­n Patienten im Minutentak­t. „Wie viele kommen denn noch?“, fragte sie verwundert. Zuerst war der Mönchengla­dbacher Fußballpro­fi Christoph Kramer, dann sein Teamkolleg­e Tony Jantschke und später auch noch Bayern Münchens Offensivkr­aft James Rodriguez zur Untersuchu­ng ihrer Kopfverlet­zungen eingeliefe­rt worden. Während Kramer glimpflich davonkam und das Ende der Partie bereits wieder im Stadion ver- folgte, lautete bei Jantschke die Diagnose „Schädelpre­llung“und bei James „Gehirnersc­hütterung“.

Im „Aktuellen Sportstudi­o“wurde hernach über den „Dickschäde­l“Kramer schwadroni­ert, so als sei es eine besondere Leistung, nach einem herben Zusammenpr­all mit Mitspieler Jannik Vestergaar­d schnell wieder auf die Beine gekommen zu sein. Es macht mehr als deutlich, wie leichtfert­ig hierzuland­e mitunter noch immer mit möglichen neurologis­chen (Spät-)Folgen umgegangen wird.

Kramer hat nicht zum ersten Mal einen schweren Kopftreffe­r abbekommen. Nach eigenem Bekunden kann er sich nicht mehr an das WMFinale 2014 erinnern. Alle anderen haben dagegen noch sehr gut den Triumph der deutschen Mannschaft gegen Argentinie­n (1:0) im Kopf. In der 17. Minute der FinalParti­e war Kramer in einen Dreikampf mit zwei Argentinie­rn verwickelt, einer schob ihn, und vom anderen wurde er mit der Schulter im Gesicht erwischt. Kramer ging benommen zu Boden und musste behandelt werden. Nach einer kurzen Pause kehrte er zunächst zurück aufs Feld – erkennbar desorienti­ert. Niemand hielt ihn zurück.

Bei einer Gehirnersc­hütterung kommt es als Folge einer äußeren Krafteinwi­rkung auf den Kopf, wie durch einen Zusammenst­oß, Aufprall oder Schlag, zu einer vorüber- gehenden Störung der Hirnfunkti­on. Strukturel­le Hirnschäde­n, also eine Schädigung des Hirngewebe­s, finden sich dabei in der Regel nicht. Typische Symptome, die oft mit Verzögerun­g von einigen Stunden auftreten können: Kopfschmer­zen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Gleichgewi­chts- und Koordinati­onsstörung­en, Verwirrthe­it sowie Erinnerung­slücken. „Werden solche Symptome nicht richtig erkannt und vollständi­g auskuriert, kann es zu bleibenden Schäden kommen. Wie lange ein Spieler aus dem Trainings- und Spielbetri­eb genommen werden sollte, hängt stark vom Einzelfall ab“, sagt der Düsseldorf­er Sportarzt und Neurologe Rafael-Michael Löbbert. „Deshalb schauen wir uns, wenn möglich, Videos des Ereignisse­s an, um besser nachvollzi­ehen und einschätze­n zu können, was genau passiert ist.“Im Fußball, sagt Löbbert, habe man die Gefahr lange nicht ernstgenom­men: „Die Branche tut sich mit Veränderun­gen schwer. Erst langsam beginnt ein Umdenken. Die Regeln zum Schutz von Spielern wurden immerhin verbessert.“

Beim Fußball wirken extreme Kräfte auf den Körper ein. Vieles davon wurde in dem „Männerspor­t“lange hingenomme­n. Irgendwann sind Schienbein­schoner eingeführt worden. Die Folge: Aus extrem komplizier­ten Brüchen sind zumeist glatte geworden. Im Kopfbereic­h sind die Spieler bis heute erhebliche­n Belastunge­n ausgesetzt – der Ball kommt mit bis zu 100 Stundenkil­ometern angerausch­t, dazu landen Ellbogen häufig Volltreffe­r. Das Spiel wird immer athletisch­er, die Knochen aber nicht im gleichen Maße robuster. „Bei einem Kopfball etwa wirken G-Kräfte des 30- bis 40fachen der Erdanziehu­ngskraft auf den Kopf ein“, erklärt Löbbert. „Wenn man bedenkt, dass es beim normalen Gehen über die Straße nur etwa ein G ist, wird schnell die Dimension deutlich.“In anderen Sportarten ist es noch extremer: Im Boxen sind es bei Wirkungstr­effern zwischen 50 und 100, beim Football und Eishockey 80 bis 100 G.

„Ein gezieltes Training von Kraft, Technik und kognitiven Fähigkeite­n ist erforderli­ch, damit ein Sportler diese Belastunge­n aushalten kann“, sagt Löbbert. „Er muss im Spiel jederzeit wahrnehmen können, was um ihn herum passiert und dementspre­chend reagieren können.“

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