Verbände hadern mit Leistungssportreform
Seit einem Jahr baut Deutschland die Spitzensportförderung um. Die Zwischenbilanz klingt vielerorts ernüchternd. Kritisiert werden vor allem ausbleibende Mittel und der Zwist zwischen DOSB und Politik.
DÜSSELDORF Vor einem Jahr beschlossen die Mitglieder des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) die Leistungssportreform. Ziel des Gemeinschaftsprojekts mit dem Bundesinnenministerium (BMI) ist ein „messbarer Zusammenhang zwischen Potenzial, Förderung und Erfolg“. Im Bewusstsein darüber, dass die staatlichen Fördermittel begrenzt sind, sollen die vorhandenen Gelder künftig auf die perspektivreichsten Athleten und Disziplinen verteilt werden. Erste positive Effekte sollten gerne auch schon bei den Spielen 2020 in Tokio erkennbar sein.
Unsere Redaktion wollte nun wissen, welches Zwischenfazit Spitzenverbände nach dem ersten Jahr Leistungssportreform und vor der Mitgliederversammlung des DOSB am Samstag in Koblenz ziehen. Der DOSB selbst in Person von Vorstand Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig, findet: „Der Sport hat seine Hausaufgaben gemacht.“Man sei in einigen Punkten sehr weit vorangekommen, habe die Kaderstruktur erneuert, ein Konzept für die künftige Struktur der Stützpunkte entwickelt. Und auch die Kommission für die Potenzialanalyse (Potas) von Sportlern und Sportarten habe große Fortschritte erzielt. Doch auch Schimmelpfennig benennt das beim Namen, was den weiteren Verlauf der Reform bestimmen wird: „Entscheidend wird natürlich nun die Finanzierung sein.“2017 weist das BMI 167 Millionen Euro an Spitzensportförderung aus. Unklar ist aber nach wie vor, ob der Sport im Bundeshaushalt 2018 mit zusätzlichen 39 Millionen bedacht wird, die die Politik zugesagt haben soll. Denn ein fixer Bundeshaushalt steht wie die künftige Regierungskonstellation bekanntlich in den Sternen. Deswegen sagt auch Peter Frese, Präsident des Deutschen Judo-Bundes: „Es hat sich nicht viel tun können, denn wir haben ja nicht die finanziellen Mittel bekommen, die wir brauchen. Insofern haben wir bislang nur Pläne. Aber es wäre unfair, jetzt irgendjemandem den Schwarzen Peter zuzuschieben, denn durch die politische Situation aktuell im Bund ist es ja für alle eine Hängepartie. Mit Blick auf die Spiele in Tokio 2020 glaube ich aber, dass die Reform sich noch nicht signifikant auswirken wird.“ Der Deutsche Leichtathletik-Verband sieht ein Zwischenfazit der Reform zum jetzigen Zeitpunkt nur bedingt zu ziehen. Viel sei diskutiert, entwickelt und geplant worden. Doch im Rahmen der Ausrichtung der künftigen Förderung seien auch die zum Teil sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Sportarten nur bedingt berücksichtigt worden, teilt der Verband mit. Mit Blick auf die Vorbereitung der folgenden Olympischen Spiele bedürfe es der schnellen Klärung der offenen Fragen und des Abbaus der Irritationen zwischen DOSB und BMI. Auch der Deutschen Reiterlichen Vereinigung ist es noch zu früh, ein Fazit der Reform zu ziehen. „Dass die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen eine gewisse Zeit benötigt, war absehbar und ist für uns auch verständlich. Deshalb ist es aus unserer Sicht noch zu früh für Wasserstandsmeldungen. Dem weiteren Reformprozess blicken wir aber optimistisch entgegen“, sagt Dennis Peiler, Geschäftsführer des Deut- schen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR). Dass BMI und DOSB als Initiatoren der Leistungssportreform oft genug nicht mit einer Stimme sprechen, hat derweil Michael Scharf, Präsident des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf, als Hauptgrund für das verschleppte Tempo der angestrebten Veränderungen ausgemacht: „BMI und DOSB sind sich über viele Themen uneins, zum Beispiel in der Frage der Bundesstützpunkte. Außer viel Hin und Her hat sich hier nicht viel ergeben“, sagt Scharf. „Auch ist die Mittelvergabe an die Verbände weiter unklar. Deswegen ist für mich der Zug für die Spiele 2020 in Tokio jetzt schon abgefahren“. Es sei zudem ja auch bezeichnend, dass die Athleten neulich ihren eigen Verein gegrün- det hätten, um ihre Interessen besser zu vertreten. „Dabei sollten sie doch im Zentrum der Reform stehen.“Scharf, der auch Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland ist, benennt noch eine vierte Baustelle aus seiner Sicht: „Es gibt bei der Reform keine Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Wir können auf Bundesebene noch so sehr die TopAthleten fördern, es wird langfristig nichts bringen, wenn wir auf Länderebene den Nachwuchs nicht genauso fördern.“ Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes, geht noch einen Schritt weiter in seiner Kritik am Tandem BMI/DOSB: „Meines Erachtens krankt die Diskussion auch daran, dass es mit Beginn der Diskussion keine gründliche und objektive Gesamtanalyse der Stärken und Schwächen im deutschen Leistungssport gab, sondern die Verantwortlichen von BMI, den Ländern aber auch vom DOSB bereits mit vorgefertigten Meinungen diese Diskussion begannen und vorrangig das Ziel hatten, ihre Vorstellungen durchzusetzen.“In seinem Verband sei die Erwartungshaltung an die Reform dann inzwischen auch „eher ernüchternd“. Ähnlich äußert sich Claudia Bokel, Präsidentin des Deutschen FechterBundes: „Die Reform zeigt bislang wenig Wirkung. Wir haben die Bundesstützpunkt-Strukturen im DFB geschärft, dafür aber viele Schläge aus den Landesverbänden bekommen. Wir müssen mit demselben Budget auskommen und haben keine Planungssicherheit für 2018. Wir sind bereit, neue Strukturen umzusetzen und uns neu aufzustellen. Allerdings können wir keine Berge versetzen, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen so bleiben oder besser gesagt noch unplanbarer werden als bisher.“ Der Deutsche Turnerbund beklagt ebenfalls die unklare Lage bei den Fördergeldern. Insofern seien trotz erster Erfolge bei der Verbesserung des Athleten-Managements und des Wissenstransfers aus der Forschung in die Verbände „die Abstimmungsprozesse zur Förderung der Athleten zwischen der Stiftung Deutsche Sporthilfe und dem DOSB nicht befriedigend umgesetzt“, sagt Sportdirektor Wolfgang Willam. „Der PotasKommission und deren Ergebnissen wird von daher eine Erwartungshaltung zur allgemeinen Problemlösung aufgebürdet, der sie in dieser Form voraussichtlich nicht gerecht werden kann.“ Für die Arbeitsgemeinschaft der Wintersportverbände ist Tokio 2020 naturgemäß kein Etappenziel, aber auch sie sieht nach einem Jahr Reform einiges an Gesprächsbedarf. „Für die Wintersportverbände ist nur schwer nachvollziehbar, dass die zeitlichen Planungen zur Umsetzung der einzelnen Schritte der Reform nun seit längerem ins Stocken geraten sind“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Verunsicherung wachse, die Fortschritte der Potas-Kommission seien nicht ersichtlich, eine signifikante Mittelaufstockung sei vonnöten. Und „der Nachwuchsleistungssport muss als entscheidende Schnittstelle zum Spitzensport noch stärker in den Fokus der Reform gerückt werden“. InfoDer Deutsche Hockey-Bund teilte auf Anfrage mit, er wolle sich erst nach der DOSB-Versammlung am Wochenende äußern. Von den zudem angefragten Verbänden Schwimmen und Rudern erhielt unsere Redaktion bis zum erbetenen Zeitpunkt kein Fazit.