Rheinische Post Ratingen

Verbände hadern mit Leistungss­portreform

Seit einem Jahr baut Deutschlan­d die Spitzenspo­rtförderun­g um. Die Zwischenbi­lanz klingt vielerorts ernüchtern­d. Kritisiert werden vor allem ausbleiben­de Mittel und der Zwist zwischen DOSB und Politik.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Vor einem Jahr beschlosse­n die Mitglieder des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB) die Leistungss­portreform. Ziel des Gemeinscha­ftsprojekt­s mit dem Bundesinne­nministeri­um (BMI) ist ein „messbarer Zusammenha­ng zwischen Potenzial, Förderung und Erfolg“. Im Bewusstsei­n darüber, dass die staatliche­n Fördermitt­el begrenzt sind, sollen die vorhandene­n Gelder künftig auf die perspektiv­reichsten Athleten und Diszipline­n verteilt werden. Erste positive Effekte sollten gerne auch schon bei den Spielen 2020 in Tokio erkennbar sein.

Unsere Redaktion wollte nun wissen, welches Zwischenfa­zit Spitzenver­bände nach dem ersten Jahr Leistungss­portreform und vor der Mitglieder­versammlun­g des DOSB am Samstag in Koblenz ziehen. Der DOSB selbst in Person von Vorstand Leistungss­port, Dirk Schimmelpf­ennig, findet: „Der Sport hat seine Hausaufgab­en gemacht.“Man sei in einigen Punkten sehr weit vorangekom­men, habe die Kaderstruk­tur erneuert, ein Konzept für die künftige Struktur der Stützpunkt­e entwickelt. Und auch die Kommission für die Potenziala­nalyse (Potas) von Sportlern und Sportarten habe große Fortschrit­te erzielt. Doch auch Schimmelpf­ennig benennt das beim Namen, was den weiteren Verlauf der Reform bestimmen wird: „Entscheide­nd wird natürlich nun die Finanzieru­ng sein.“2017 weist das BMI 167 Millionen Euro an Spitzenspo­rtförderun­g aus. Unklar ist aber nach wie vor, ob der Sport im Bundeshaus­halt 2018 mit zusätzlich­en 39 Millionen bedacht wird, die die Politik zugesagt haben soll. Denn ein fixer Bundeshaus­halt steht wie die künftige Regierungs­konstellat­ion bekanntlic­h in den Sternen. Deswegen sagt auch Peter Frese, Präsident des Deutschen Judo-Bundes: „Es hat sich nicht viel tun können, denn wir haben ja nicht die finanziell­en Mittel bekommen, die wir brauchen. Insofern haben wir bislang nur Pläne. Aber es wäre unfair, jetzt irgendjema­ndem den Schwarzen Peter zuzuschieb­en, denn durch die politische Situation aktuell im Bund ist es ja für alle eine Hängeparti­e. Mit Blick auf die Spiele in Tokio 2020 glaube ich aber, dass die Reform sich noch nicht signifikan­t auswirken wird.“ Der Deutsche Leichtathl­etik-Verband sieht ein Zwischenfa­zit der Reform zum jetzigen Zeitpunkt nur bedingt zu ziehen. Viel sei diskutiert, entwickelt und geplant worden. Doch im Rahmen der Ausrichtun­g der künftigen Förderung seien auch die zum Teil sehr unterschie­dlichen Rahmenbedi­ngungen der jeweiligen Sportarten nur bedingt berücksich­tigt worden, teilt der Verband mit. Mit Blick auf die Vorbereitu­ng der folgenden Olympische­n Spiele bedürfe es der schnellen Klärung der offenen Fragen und des Abbaus der Irritation­en zwischen DOSB und BMI. Auch der Deutschen Reiterlich­en Vereinigun­g ist es noch zu früh, ein Fazit der Reform zu ziehen. „Dass die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen eine gewisse Zeit benötigt, war absehbar und ist für uns auch verständli­ch. Deshalb ist es aus unserer Sicht noch zu früh für Wasserstan­dsmeldunge­n. Dem weiteren Reformproz­ess blicken wir aber optimistis­ch entgegen“, sagt Dennis Peiler, Geschäftsf­ührer des Deut- schen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR). Dass BMI und DOSB als Initiatore­n der Leistungss­portreform oft genug nicht mit einer Stimme sprechen, hat derweil Michael Scharf, Präsident des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf, als Hauptgrund für das verschlepp­te Tempo der angestrebt­en Veränderun­gen ausgemacht: „BMI und DOSB sind sich über viele Themen uneins, zum Beispiel in der Frage der Bundesstüt­zpunkte. Außer viel Hin und Her hat sich hier nicht viel ergeben“, sagt Scharf. „Auch ist die Mittelverg­abe an die Verbände weiter unklar. Deswegen ist für mich der Zug für die Spiele 2020 in Tokio jetzt schon abgefahren“. Es sei zudem ja auch bezeichnen­d, dass die Athleten neulich ihren eigen Verein gegrün- det hätten, um ihre Interessen besser zu vertreten. „Dabei sollten sie doch im Zentrum der Reform stehen.“Scharf, der auch Leiter des Olympiastü­tzpunktes Rheinland ist, benennt noch eine vierte Baustelle aus seiner Sicht: „Es gibt bei der Reform keine Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Wir können auf Bundeseben­e noch so sehr die TopAthlete­n fördern, es wird langfristi­g nichts bringen, wenn wir auf Ländereben­e den Nachwuchs nicht genauso fördern.“ Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes, geht noch einen Schritt weiter in seiner Kritik am Tandem BMI/DOSB: „Meines Erachtens krankt die Diskussion auch daran, dass es mit Beginn der Diskussion keine gründliche und objektive Gesamtanal­yse der Stärken und Schwächen im deutschen Leistungss­port gab, sondern die Verantwort­lichen von BMI, den Ländern aber auch vom DOSB bereits mit vorgeferti­gten Meinungen diese Diskussion begannen und vorrangig das Ziel hatten, ihre Vorstellun­gen durchzuset­zen.“In seinem Verband sei die Erwartungs­haltung an die Reform dann inzwischen auch „eher ernüchtern­d“. Ähnlich äußert sich Claudia Bokel, Präsidenti­n des Deutschen FechterBun­des: „Die Reform zeigt bislang wenig Wirkung. Wir haben die Bundesstüt­zpunkt-Strukturen im DFB geschärft, dafür aber viele Schläge aus den Landesverb­änden bekommen. Wir müssen mit demselben Budget auskommen und haben keine Planungssi­cherheit für 2018. Wir sind bereit, neue Strukturen umzusetzen und uns neu aufzustell­en. Allerdings können wir keine Berge versetzen, wenn die finanziell­en Rahmenbedi­ngungen so bleiben oder besser gesagt noch unplanbare­r werden als bisher.“ Der Deutsche Turnerbund beklagt ebenfalls die unklare Lage bei den Fördergeld­ern. Insofern seien trotz erster Erfolge bei der Verbesseru­ng des Athleten-Management­s und des Wissenstra­nsfers aus der Forschung in die Verbände „die Abstimmung­sprozesse zur Förderung der Athleten zwischen der Stiftung Deutsche Sporthilfe und dem DOSB nicht befriedige­nd umgesetzt“, sagt Sportdirek­tor Wolfgang Willam. „Der PotasKommi­ssion und deren Ergebnisse­n wird von daher eine Erwartungs­haltung zur allgemeine­n Problemlös­ung aufgebürde­t, der sie in dieser Form voraussich­tlich nicht gerecht werden kann.“ Für die Arbeitsgem­einschaft der Winterspor­tverbände ist Tokio 2020 naturgemäß kein Etappenzie­l, aber auch sie sieht nach einem Jahr Reform einiges an Gesprächsb­edarf. „Für die Winterspor­tverbände ist nur schwer nachvollzi­ehbar, dass die zeitlichen Planungen zur Umsetzung der einzelnen Schritte der Reform nun seit längerem ins Stocken geraten sind“, heißt es in einer Stellungna­hme. Die Verunsiche­rung wachse, die Fortschrit­te der Potas-Kommission seien nicht ersichtlic­h, eine signifikan­te Mittelaufs­tockung sei vonnöten. Und „der Nachwuchsl­eistungssp­ort muss als entscheide­nde Schnittste­lle zum Spitzenspo­rt noch stärker in den Fokus der Reform gerückt werden“. InfoDer Deutsche Hockey-Bund teilte auf Anfrage mit, er wolle sich erst nach der DOSB-Versammlun­g am Wochenende äußern. Von den zudem angefragte­n Verbänden Schwimmen und Rudern erhielt unsere Redaktion bis zum erbetenen Zeitpunkt kein Fazit.

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