Rheinische Post Ratingen

Das Wunder von der Ostsee

Aufsteiger Holstein Kiel führt die Zweitliga-Tabelle an und erwartet Düsseldorf.

- VON BERND JOLITZ

KIEL/DÜSSELDORF Im Verdacht, eine Fußballsta­dt zu sein, stand Kiel noch nie. Segeln, klar – dafür steht allein schon die Kieler Woche, die alljährlic­h im Juni rund drei Millionen Touristen und Sportfans an die Förde lockt. Handball, natürlich – schließlic­h ist der Turnverein Hassee-Winterbek, kurz THW, traditione­ll die Nummer eins der deutschen Szene. Seit 2015 freilich schwächeln die Handball-„Zebras“sportlich, hinken als Tabellenac­hter den eigenen Ansprüchen hinterher. Und nun schickt sich doch tatsächlic­h der Fußballklu­b der nördlichst­en deutschen Großstadt an, dieses kleine Vakuum zu füllen.

Der Kieler Sportverei­n Holstein ist das Überraschu­ngsteam der Zweitligas­aison, führt als Aufsteiger nach 15 Spieltagen die Tabelle an. Vom „Wunder von der Ostsee“sprechen da viele bereits, wobei Erfolgstra­iner Markus Anfang (43) den Ball flach hält. „So weit sind wir noch lange nicht“, sagt der frühere Profi. „Fortuna Düsseldorf zum Beispiel ist in vielen Punkten besser als wir.“

Understate­ment hat er also schon gelernt, der Novize im Profitrain­erGeschäft. 2010 stand Anfang erst- mals als Coach an der Seitenlini­e, damals beim Oberligist­en SC Kapellen. Anschließe­nd trainierte er drei Jahre lang die U17 von Bayer Leverkusen, wo er einst als 20-Jähriger seine Profilaufb­ahn begonnen hatte. Seit 15 Monaten nun schreibt er am Märchen von Holstein Kiel: Im ersten Jahr Aufstieg in die Zweite Liga, im zweiten womöglich der Sprung ins deutsche Oberhaus?

Ein wenig mehr zu diesem Thema wird man bereits morgen wissen, wenn das Gipfeltref­fen des KSV mit dem Tabellenzw­eiten Fortuna Düsseldorf (Anstoß 13 Uhr) abgepfiffe­n ist. Nur ein Punkt trennt die beiden Kontrahent­en, so dass der Sieger des direkten Vergleichs in jedem Fall Spitzenrei­ter sein wird. Es wäre der nächste Schritt zum großen Traum Gerhard Lütjes, Inhaber einer Einkaufsce­nter-Betreiberg­ruppe und einer der reichsten Männer Deutschlan­ds, der gemeinsam mit seinem Aufsichtsr­atskollege­n Hermann Langness, Chef einer Supermarkt­kette, wirtschaft­lich hinter dem Holstein-Erfolg steht.

„Dass wir so Fußball spielen können – das wussten wir“, sagt Anfang. „Aber dass wir damit auf diesem Niveau auch so oft gute Ergebnisse erzielen, habe ich nicht erwartet.“Auch deshalb nicht, weil sein Gerüst aus Profis besteht, die andere nicht mehr wollten („Jojo“van den Bergh, Sebastian Heidinger) oder solchen, die bisher keinen großen Namen in der Szene besaßen – Dominick Drexler, Marvin Ducksch oder Kingsley Schindler. An Drexler und Schindler war der morgige Gast Fortuna interessie­rt, die Transfers scheiterte­n jedoch an den langfristi­gen Verträgen der Kieler. Dafür trugen Torhüter Kenneth Kronholm, Heidinger, van den Bergh und sogar Trainer Anfang einst das FortunaTri­kot. Ein Aspekt mehr, der das Spitzenspi­el so interessan­t macht.

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FOTO: DPA Trainer Markus Anfang, sportliche­r Vater des Holstein-Erfolges

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