Rheinische Post Ratingen

„Die Diagnose fühlte sich an wie ein Todesurtei­l, ich sah kein Licht mehr“

- VON SASKIA NOTHOFER

KÖLN Er war derjenige in der Familie, der niemals Probleme machte, dem es immer gut ging. „Und plötzlich musste ich meinen Liebsten erklären, dass ich unheilbar krank bin“, erzählt der 60-jährige Michael Haupthof. Vor 23 Jahren lieferte ihm ein Test das Ergebnis HIV positiv, angesteckt hatte er sich bei seinem damaligen Freund. „Er war wohl Träger. Aber aufgrund eines Gendefekts brach die Krankheit bei ihm nicht aus“, so Haupthof.

Etwa 640 Männer und Frauen in NRW haben sich nach Schätzunge­n des Robert-Koch-Instituts (RKI) im vergangene­n Jahr mit HIV angesteckt. Demnach hätten sich 510 Männer, die meisten beim gleichgesc­hlechtlich­en Sex, und 130 Frauen neu infiziert, teilte das Institut mit. Ende 2016 lebten in NRW somit 19.200 Menschen mit HIV. Bundesweit steckten sich laut RKI 2500 Männer und 570 Frauen im vergangene­n Jahr mit HIV an, die Zahl der Neuinfekti­onen bleibt damit gegenüber 2015 konstant. Clara Leh- mann, Fachärztin für innere Medizin und Infektiolo­gie der Uniklinik Köln, ist bestürzt über diese Daten: „Dass die Zahl der Neuansteck­ungen trotz Aufklärung und Enttabuisi­erung nicht sinke, ist keine gute Entwicklun­g“, sagt sie.

Für Michael Haupthof war die Diagnose ein Schock. „Ich konnte es nicht glauben, die Nachricht war für mich nicht greifbar, hallte wie ein Echo an mir vorbei.“Doch auf den Schock folgte Panik. „Mich beschliche­n Gefühle wie Hoffnungsl­osigkeit, Verzweiflu­ng und Trauer“, erinnert sich der 60Jährige. „Die Diagnose fühlte sich an wie ein Todesurtei­l, ich sah kein Licht, überhaupt keine Freude mehr in meinem Leben.“

Die darauffolg­ende Zeit erwies sich als schwierig. Der damals Ende 30-Jährige musste diverse Rückschläg­e verkraften. So wurde er mehrfach krank, verbrachte einige Wochen im Krankenhau­s, schluckte massenhaft Medikament­e gegen Krankheite­n, die er nicht hatte, aber hätte bekommen können. „Die Nebenwirku­ngen waren schlimm. Einige machten mich ganz durcheinan­er im Kopf. Durch andere tat das Duschen so weh, als würde ich in Eiswasser baden“, so Haupthof. Zudem erlitt der Kölner Krampfanfä­lle, musste reanimiert werden. „Zeitweise wog ich nur noch 58 Kilo- gramm, normal waren bei mir um die 80.“Doch nicht nur die Krankheit setzte ihm zu – in den selben Zeitraum fiel auch die Trennung von seinem Freund. „Die HIV-Diagnose war aber nicht der Grund, unsere Trennung hatte andere Ursachen“, so der 60-Jährige.

Doch Haupthof konnte sich einen Ruck geben. „Ich wollte raus aus der Isolation und wusste: Wenn meine Seele gesund wird, wird auch mein Körper wieder gesund.“Unterstütz­ung fand er vor allem bei seiner Familie. Noch heute erinnert sich Haupthof an einen Satz seiner Oma, seine Stimme stockt, als er davon erzählt. „Sie sagte am Telefon zu mir: ,Komm doch nach Hause, wir bekommen dich schon gesund’. Das nahm mir eine unheimlich­e Last von den Schultern.“

Und die Großmutter sollte recht behalten. Heute sieht Haupthof seine Krankheit positiv. „Sie hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin“, sagt er. Die Diagnose positiv habe Positives bei ihm bewirkt. So habe er wunderbare Orte besucht, tolle Leute kennengele­rnt und fast nie negative Erfahrunge­n mit seiner Krankheit gemacht. In der Gesellscha­ft sei er nie auf Ablehnung gestoßen, habe sich nie stigmatisi­ert gefühlt.

„Bei vielen Patienten ist die Stigmatisi­erung aber ein großes Pro- Michael Haupthof HIV-Patient blem“, so die Infektiolo­gin Lehmann. Es finge mit Arztbesuch­en an. Sei bekannt, dass ein Patient mit HIV infiziert ist, komme er oft als letztes an die Reihe, nutzen Ärzte manchmal drei Paar Handschuhe während der Behandlung. Noch schlimmer sei aber die Ablehnung, die HIV-positive-Menschen durch Familie und Freunde erfahren könnten. „Manche Patienten verheimlic­hen ihrem gesamten Umfeld die Krankheit, verstecken Medikament­e und begeben sich in die vollständi­ge Isolation“, sagt die Ärztin.

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