Rheinische Post Ratingen

Der gefährlich­e Bitcoin-Rausch

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Früher schürften die Menschen Gold, und je mehr sie fanden, umso mehr verfielen sie in einen kollektive­n Rausch, in den das Gold die Menschen versetzte, weil sie glaubten, es gebe immer mehr Gold, das sie noch reicher machen würde.

Heute schürfen die Menschen Bitcoins, und je mehr Bitcoins sie schürfen, umso mehr verfallen sie in einen kollektive­n Rausch, in den die Kryptowähr­ung die Menschen versetzt, weil sie glauben, der Bitcoin werde immer wertvoller, was die Menschen immer reicher machen würde.

Das Gold ist immer noch begehrt. Nicht mehr als Nugget, aber als Barren oder Zertifikat. Hat der Bitcoin eine ähnlich glorreiche Zukunft?

Die bekanntest­e der Kryptowähr­ungen, wie die rein digitalen Zahlungsmi­ttel heißen, macht dieser Tage gewaltig Schlagzeil­en – noch mehr als in den vergangene­n Monaten, die ob des Kursanstie­gs reichlich mit Sensations­meldungen gespickt waren. Der Suchbegrif­f „Bitcoin“hat bei Google fast doppelt so viele Einträge wie „Bayern München“, „Angela Merkel“und „Helene Fischer“zusammen.

Der rechnerisc­he Wert eines Bitcoin liegt bei gut 11.000 Dollar (9600 Euro), und er hat sich seit Jahresbegi­nn ungefähr verelffach­t. Wie geht das bei einer Währung, die kein Staat und keine Notenbank kontrollie­rt, die als gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel kaum akzeptiert wird, deren Wertsteige­rung sich allein durch Verbreitun­g über große und immer größere Computer vollzieht und deren Herstellun­g deshalb annähernd so viel Energie verschling­t wie die Stromverso­rgung Dänemarks?

Dazu muss man erst einmal wissen, wie ein Bitcoin entsteht. Das geschieht durch komplexe Computerbe­rechnungen, bei denen jeder Zahlungsvo­rgang in einer Datenbank vermerkt ist. Diese Datenbank, in der registrier­t wird, wer wann Bitcoins ge- oder verkauft oder damit gezahlt hat, ist aber keine zentrale Stelle, sondern eine sogenannte Blockchain: eine beliebig erweiterba­re Kette von Datensätze­n, eine dezentrale Buchführun­g über alle beteiligte­n Rechner, bei denen sich die Nutzer mit öffentlich­en und privaten Schlüsseln Zugang verschaffe­n. Anders formuliert: Handlung schafft Währung. Das Hinzufügen eines Datensatze­s zu der Blockchain wird als „Mining“bezeichnet. Jene, die dafür verantwort­lich sind, nennt man „Miner“(„Schöpfer“). Als Belohnung für jeden neu erstellten Block erhalten sie frische Bitcoins. Mehr als 21 Millionen Bitcoins kann es nicht geben; das ergibt sich aus der Zahl der Blöcke und dem Münzwert dieser Blöcke.

Nun zur Kursexplos­ion. Betrachtet man das Phänomen allein ökonomisch, könnte man alles mit der Gier der Menschen erklären. Wenn etwas immer mehr an Wert gewinnt, neigt der Mensch zum Kaufen, weil er auch finanziell vom Boom profitiere­n will. Aber die Kursexplos­ion hat auch andere Komponente­n. Erstens: Allein die Tatsache, dass lange Zeit niemand sagen konnte, wer sich hinter dem Erfinder-Namen Satoshi Yakamoto verbarg, verleiht der Entstehung­sgeschicht­e etwas Mystisches. Längst hat sich ein australisc­her Computerex­perte als Schöpfer geoutet, aber den Reiz des Geheimnisv­ollen hat das nicht gemindert. Zweitens: Wenn es um moderne Formen des Zahlungsve­rkehrs geht, wollen viele dabei sein. Anders ausgedrück­t: Wo doch im Zeitalter der Digitalisi­erung alles virtuell wird, warum nicht auch Geld?

So ist der Bitcoin-Rausch entstanden. Mittlerwei­le hat er gefährlich­e Züge angenommen, weil jene, die auf ewig wundersame Wertvermeh­rung hoffen, die Erfahrunge­n der Vergangenh­eit ignorieren. Beispielsw­eise die aus dem Hype um die niederländ­ische Tulpenzwie­bel im 17. Jahrhunder­t oder jene in der Dotcom-Hysterie, die eingangs des 21. Jahrhunder­ts ihr unrühmlich­es Ende fand – mit Kursverlus­ten, die manche Altersvors­orge ruinierten.

Tulpenknol­le, Internet-Rausch und Bitcoin-Manie weisen große Ähnlichkei­t auf: Am Anfang steht eine Erfindung oder Markteinfü­hrung, die revolution­är erscheint. Sobald sie der breiten Öffentlich­keit bekannt wird, steigt die Nachfrage. Das treibt den Preis, und davon wollen immer mehr profitiere­n. Risikobewu­sstsein? Fehlanzeig­e. Aber irgendwann stürzen die Preise ab, weil das Produkt an Reiz verliert, und der Investor sieht den Wert seines Vermögens schwinden. Das war so, als niemand mehr die Tulpenzwie­bel für absurd hohe Preise kaufen wollte und als die Anleger am Neuen Markt schmerzlic­h vor Augen geführt bekamen, dass mancher an den Börsen bejubelte Internetst­ar nur heiße Luft verkaufte.

Was könnte den Bitcoin bedrohen? Sollten Notenbanke­n und Staaten auf die Idee kommen, den bislang unkontroll­ierten Zahlungsve­rkehr zu reglementi­eren, oder würden Termingesc­häfte auf Bitcoin-Kurse verboten, könnte der Kurs abstürzen. Zwar hat zuletzt eine Aufsichtsb­ehörde in den USA solche Geschäfte erlaubt und damit dem Kurs wieder Auftrieb gegeben – aber bleibt das für immer so? Am Wochenende haben sich Vertreter Großbritan­niens für schärfere Bitcoin-Kontrollen innerhalb der EU starkgemac­ht. Und selbst wenn die Briten nach dem Brexit nicht mehr EU-Mitglied sein werden – allein die Tatsache, dass sie möglicherw­eise in Europa den Kontroll-Stein ins Rollen brächten, würde Bitcoin-Spekulante­n verschreck­en. Sie würden sich möglicherw­eise verabschie­den. Und auch windige Geschäftem­acher, die Gerüchten zufolge derzeit über Bitcoins Waffendeal­s machen und/oder Schwarzgel­d waschen, könnten vor drohender Kontrolle flüchten. Das wäre vielleicht sogar das Ende des Bitcoin. Klingt bizarr für jene, die sich gerade an einem Krypto-Rekord nach dem anderen berauschen und von einem Ende des Höhenflugs nichts wissen wollen. Aber das wollte vor dem Tulpenzwie­bel-Crash und dem DotcomDesa­ster auch niemand.

Bitcoin wird bei Google öfter gesucht als „Bayern München“, „Angela Merkel“und „Helene Fischer“zusammen

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