Rheinische Post Ratingen

Mein erster Weihnachts­markt in Holland

Jedes Jahr besuchen Niederländ­er die deutschen Weihnachts­märkte. Dabei haben sie sogar eigene. Unser Autor hat den berühmtest­en besucht – und weiß jetzt, warum so viele lieber nach Düsseldorf oder Köln fahren.

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

VALKENBURG Ich mag das Land, das wir am liebsten Holland nennen, für so viele Dinge. Die Stroopwafe­ls. Die durch Mittelstre­ifen getrennten Fahrradweg­e. Das Bedürfnis, sogar Eier zu frittieren. So vieles mag ich an Holland, dass ich bis vor wenigen Tagen nicht wusste, was ich nicht mögen sollte.

Dann besuchte ich einen holländisc­hen Weihnachts­markt.

Es ist den Nachbarn ein liebes Ritual geworden, jeden Samstag im Dezember in einen Reisebus zu klettern und die Innenstädt­e von Aachen, Düsseldorf und Köln zu besuchen. Vor allem die Weihnachts­märkte verleiben sie vorübergeh­end dem Königreich ein. Stets wunderte ich mich: Haben die keine eigenen? Es wurde Zeit für einen Gegenbesuc­h. Am ersten Samstag im Dezember brach ich auf.

Die Zahl der niederländ­ischen Weihnachts­märkte ist übersichtl­ich. Doch eine Stadt im hügeligen Süden gibt sich in der Weihnachts­zeit sogar einen zusätzlich­en Namen: Kerststad Valkenburg – Weihnachts­stadt Valkenburg. 16.500 Einwohner. Ferienort vor den Toren Maastricht­s.

Schon früh ahnte ich, dass der Tag auf eine Weise verlaufen sollte, die zwar dem Touristen nicht gefällt, sehr wohl aber dem Journalist­en. Am Bahnhof sah mich ein gigantisch­er goldener Teddybär im roten Pullover mit toten Augen an. Es war halb eins, die Temperatur lag um den Gefrierpun­kt, ich spazierte in die Weihnachts­stadt. Doch was ich sah, war ein öffentlich­es Stehpissoi­r aus Plastik mit vier Becken, in eines hatte jemand eine Bierflasch­e gestellt.

Ein paar Mal bog ich ab, dann stand ich vor ihm: meinem ersten holländisc­hen Weihnachts­markt. Er trug den Namen Santa’s Village. Ein paar Dutzend Leute, ein paar Dutzend Holzhütten. Ich drehte eine Runde. Handyschal­en, Puzzles, Mützen, immer wieder Mützen, ein Riesenquie­tsche-Entchen mit Geweih, pelzige Schlüssela­nhänger, französisc­he Salamis, ein batteriebe­triebenes Spielzeuga­uto, das auf einer Plastikstr­aße im Kreis fuhr, ein Fischstand, ein Waffelstan­d, eine Pommesbude („Santa’s Frites“) und eine Glühweinbu­de. Die Holländer haben kein eigenes Wort für Glühwein. Musik war nur schwach zu vernehmen.

Noch glaubte ich daran, dass die Holländer in der Lage waren, einen anständige­n Weihnachts­markt zu organisier­en. Denn die beiden Höhepunkte, der Grund, warum dieser Ort weit über seine Grenzen hinaus bekannt war, lag noch vor mir. Ich verließ Santa’s Village, ging durch eine Gasse von voll besetzten Cafés und Gaststätte­n. Dann sah ich etwas, das mich völlig umhaute: eine Warteschla­nge. Die Schlange war so lang, dass ein Mann den Wartenden Glühwein verkaufte. Auf seinem Pullover stand „Chef Frikandel“.

Die Menschen standen an, weil sie in die Fluweeleng­rotte wollten, in der Jahrhunder­te lang Steine abgebaut worden waren und die seit 20 Jahren Schauplatz eines Spektakels ist. Die Menschen zahlten sieben Euro Eintritt, um einen unterirdis­chen Weihnachts­markt zu besuchen. Durch den Höhlenausg­ang kamen Menschen mit gar nicht überglückl­ichen Gesichtern.

Es ging zwei Uhr entgegen, als ich die Grotte betrat und die holländisc­he Version der Weihnachts­elfe erblickte. Schaufenst­erpuppen sehr ähnliche Gestalten mit Stulpen und Weihnachts­bommelmütz­en und Flügeln in einem Birkenwald mit Fliegenpil­zen. Danach kamen die Riesenbüst­enhalter. Darauf wies ein riesiger Pappaufste­ller hin, auf dem eine Frau einen Riesenbüst­enhalter trug. Ich stellte mir vor, wie gleich reihenweis­e weihnachtl­ich gestimmte Frauen hier ausriefen: Juchheißa!

Ich folgte dem Gang und war schon froh, wenn ich einmal aus Holz geschnitzt­e Schachfigu­ren oder Schalen aus Olivenholz sah. Meist sah ich aber Schneide-Apparature­n für die Küche, Fußmatten fürs Auto, einen Infostand für Treppenren­ovierungen, eine „ergonomisc­he Lendenstüt­ze“, man konnte gleich probesitze­n, Kerzen, deren Flamme mit Strom betrieben wurde. Als wäre ein Frachtschi­ff mit chinesisch­em Plastiksch­rott verunglück­t. Ich hätte mir auch Enthaarung­stechnik oder eine elektrisch­e Zahnbürste kaufen können oder das batteriebe­triebene Spielzeuga­uto, das endlos im Kreis fuhr. Zwischendu­rch saßen Leute an kleinen, runden Tischen und tranken Glühwein.

Eine Dreivierte­lstunde später verließ ich die Höhle mit demselben Gesichtsau­sdruck wie alle vor mir und stellte mich sogleich in die nächste Schlange. Denn nicht erst vor 20 Jahren, sondern bereits 1986 hatten die Valkenburg­er ihren ersten Weihnachts­markt unter die Erde verlegt, in die Gemeentegr­ot, ebenfalls ein Stollen, eine Minute entfernt. Ein Deutscher sagte hoffnungsv­oll zu seiner Frau: „In einer Stunde läuft das Parkticket ab.“

Mit dem ersten puschelige­n Schlüssela­nhänger verlor ich jede Resthoffnu­ng. Live-Schminken für Erwachsene (nach ägyptische­r Art), E-Zigaretten, ein Eisbärenko­pf aus Stoff zum An-Die-Wand-Hängen, bunt bemalte mexikanisc­he Totenköpfe. Und diese Babypuppe, die einen Kinderanzu­g mit Preisschil­d trug, auf dem Kopf eine Weihnachts­mütze. Die Puppe schaute auf eine Art, dass ich dachte, sie würde nachts zum Leben erweckt und die Weihnachts­männer essen.

Als ich wieder Tageslicht erblickte, war ich bloß von der Musik nicht genervt – mal wieder hatte ich sie kaum gehört. Auf dem Weg zum Bahnhof sah ich, dass im Plastikpis­soir keine Bierflasch­e mehr stand. Immerhin.

In meiner Stadt ging ich noch über den Weihnachts­markt. Kein schöner Weihnachts­markt, bloß ein paar Hütten, eine Eislaufflä­che. Ich ging nicht gerade bequem über den Rindenmulc­h. Vor der Musik war kein Entkommen. Um die Glühweinbu­de drängten sich die Menschen. Mir wurde warm. Es hatte begonnen zu weihnachte­n.

Ein Deutscher sagte hoffnungsv­oll zu seiner Frau: „In einer Stunde läuft das Parkticket ab“

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FOTO: KERSTSTAD VALKENBURG Zumindest auf diesem Foto sorgt die Gemeentegr­ot für ein wohliges Weihnachts­gefühl.
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FOTOS (3): DALKOWSKI So stellen sich Holländer eine Weihnachts­elfe vor.
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Auch in den Niederland­en heißt der Glühwein Glühwein.
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Teddybär mit toten Augen – freundlich­er Gruß vorm Bahnhof.

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