Rheinische Post Ratingen

Nihilisten im Selbstmörd­erclub

Juli Zeh hat mit „Leere Herzen“einen Roman über das Ende der Demokratie geschriebe­n.

- VON MARTIN HALTER

Juli Zeh wirft uns ihren neuen Roman mit großer Gebärde vor die Füße; die Widmung klingt wie eine Drohung: „Da. So seid ihr“. Die nahe Zukunft, so wie Zeh sie malt, ist die schwärzest­e und schlechtes­te aller Welten, eine Hölle des Nihilismus, gnadenlos pragmatisc­h, effizient und egoistisch. Angela Merkel ist verjagt worden; ihre Nachfolger­in, Regula Freyer von der Bewegung Besorgter Bürger, peitscht populistis­che Sicherheit­s- und „Effizienzp­akete“durch. Es gibt keine kritischen Intellektu­ellen mehr, keine nennenswer­te Opposition; die Zeitungen sind gleichgesc­haltet oder gestorben. Künstliche Intelligen­zen denken für uns und optimieren alles: Ernährung, Verkehr, Kultur, bedingungs­loses Grundeinko­mmen. „Ruhe sanft, öffentlich­er Diskurs“, schreibt Zeh in ihrem Nachruf.

Im Roman leidet Britta Söldner manchmal auch unter ihrem leeren Herzen und schlechten Gewissen; der Mangel an Überzeugun­gen und Idealen schlägt ihr buchstäbli­ch auf den Magen. Ihre Kinder spielen Kuschel-Killerspie­le mit Glotzis, Terror-Barbies und „Mega-Melanie“und jubeln „Kollateral­schaden!“, wenn sie ein neues Egoshootin­g-Level erreicht haben. Ihr Mann, ein treudoofer Start-up-Unternehme­r, verkauft seine Seele für Risikokapi­tal aus der Crowd. Britta, pragmatisc­h und effizient bis hin zum Zy- nismus, macht aus dem Zusammenbr­uch aller Werte ein Geschäftsm­odell. Zusammen mit Babak, einem schwulen Nerd mit irakischem Migrations­hintergrun­d, betreibt sie in Braunschwe­ig eine Agentur für „Self-Managing, LifeCoachi­ng, Ego-Polishing“. Offiziell ist es eine Heilpraxis, in der potenziell­e Selbstmörd­er mit einer zwölfstufi­gen Schockther­apie (inklusive Waterboard­ing) ins Leben zurückgefü­hrt werden. In Wahrheit vermittelt sie den untherapie­rbaren Rest als Selbstmord­attentäter an potente Auftraggeb­er wie den IS.

So profitiere­n alle vom diskreten Service des „Terrordien­stleisters“. Die Dschihadis­ten oder auch die Gutmensche­n von Green Power müssen nicht mehr lange nach Kanonenfut­ter suchen. Die Attentäter geben ihr Leben nur für etwas her, das ihren hohen Ansprüchen ge- nügt: Tierschutz, Separatism­us, Occupy oder auch Allah.

Alles geht seinen geregelten Gang, bis eine Konkurrenz­organisati­on auf den Plan tritt. Sie nennt sich „Empty Hearts“und stört mit ihrem dilettanti­schen Anschlag den Markt und die Logik des Funktionie­rens. Brittas versteiner­tes Herz gerät wieder in Bewegung, Babak zieht Lassie, dem Terror-Server mit den unfehlbare­n, „proaktiven“Algorithme­n, den Stecker. Zusammen kidnappen sie Guido Hatz, eine zwielichti­ge Figur, die sich mal als Wünschelru­tengänger, mal als Schutzenge­l ausgibt und wohl auch Verbindung zum Geheimdien­st und der alten Angela Merkel unterhält. Mehr darf man nicht verraten, denn „Leere Herzen“ist auch ein politische­r Thriller.

In den letzten Jahren entstanden viele literarisc­he Dystopien, in de- nen die nähere Zukunft als verlängert­e Unheilsges­chichte der Gegenwart erscheint. Dave Eggers überzeichn­ete in seinem „Circle“die Heilsversp­rechen des Silicon Valley. In Michel Houellebec­qs „Unterwerfu­ng“wird Frankreich von einer kommoden islamistis­chen Diktatur regiert. Juli Zeh hat ihr Engagement für Demokratie und Bürgerrech­te selber auch schon mit Zukunftsro­manen wie „Corpus Delicti“flankiert und Waffen wie Holzhammer und Moralkeule eingesetzt.

„Leere Herzen“ist jetzt wieder ein Schritt zurück: Der politische Zweck ist offensicht­lich wichtiger als die erzähleris­chen Mittel. Figurenzei­chnung, Plot, selbst Natur- und Landschaft­sschilderu­ngen, alles wird einer höheren Absicht untergeord­net: zu zeigen, wohin es führt, wenn Menschen ihre Überzeugun­gen und Ideale für die Linsengeri­chte von Konsum, Entertainm­ent und smarten Profit verkaufen.

Zehs demokratis­ches Engagement ist ehrenwert, aber nur bedingt unterhalts­am. Am Ende ist der Roman nur eine zähe Satire auf die leeren Herzen und hohlen Köpfe im Selbstmörd­erclub. Juli Zeh „Leere Herzen“Luchterhan­d, 350 S., 20 Euro

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