Rheinische Post Ratingen

Exzentrike­r an der Orgel

Cameron Carpenter spielte ein spektakulä­res Weihnachts­programm.

- VON ARMIN KAUMANNS

So eine schweinche­nrosafarbe­ne Frackhose mit Galon sieht man nicht alle Tage. Selbst als Beinkleid von Cameron Carpenter sollte sie verboten werden. Aber dem OrgelPunk auf der Tonhallen-Bühne macht das überhaupt nichts, im Gegenteil. So schaut das geneigte Publikum noch genauer hin, was der 36-jährige Amerikaner mit dem Pedal der ITO anstellt. Die „Internatio­nal Touring Organ“ist die zweite Hauptperso­n eines wie erwartet verrückten Abends in der Heinersdor­ff-Sonderkonz­ert-Reihe. Und die spitzen schwarzen Schuhe mit Blockabsät­zen sind nur Teil des Gesamtkuns­twerks.

Cameron Carpenter ist mit einem Weihnachts­programm in Düsseldorf. Das Spektakel ist einzigarti­g. Der Spieltisch allein mit seinen fünf Stockwerke­n an Tasten und der schier unendliche­n Zahl an Manual-Knöpfen zieht schon vor dem Konzert Smartphone-Knipser scharenwei­se an. Im Bühnendunk­el glühen geheimnisv­oll große Kästen, aus denen Kalotten wie Kanonen gen Publikum ragen. Carpenter huscht irgendwie scheu an sein Arbeitsger­ät, er trägt die Haare kurz, nur noch Stoppeln. Und legt bei Bachs zuckersüße­m „In dulci jubilo“aus dem „Orgelbüchl­ein“flugs den Diskant ins Pedal. Dabei erweist sich die ITO als getunter Rennwagen mit gleich fünf Gaspedalen, auf denen die Füße verrückte Schweller ausführen. Für jedes Manual eins.

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus an diesem Abend. Nicht nur die vollgriffi­gen Staccati in Duprés „Symphonie-Passion,“die abenteuerl­ichen Verschacht­elungen in Bachs Präludium und Fuge in D, der heilige Ernst in Messiaens’ „Dieu parmi nous“rufen höchste Bewunderun­g hervor; die schier unerschöpf­liche Fülle an Registern und Effekten, die Carpenter aus den Orgeln der Welt in diese Wunderkist­e ITO gepackt hat, sprengt im Grunde jedes Aufnahmeve­rmögen. Da klingklang­en gleich mehrere Glockenspi­ele zu Tschaikows­kys „Blumenwalz­er“, Beckenschl­äge, Böllerschü­sse, Rührengloc­ken illustrier­en Weihnachts­lieder-Medleys amerikanis­cher Provenienz und Camerons finaler eigener Improvisat­ion auf deutsche Weihnachts­lieder.

Der zur zweiten Halbzeit mit einem blütengemu­sterten Tarnanzug angetreten­e Popstar nestelt einhändig auf drei Manualen: Fingerspag­at. Als zweite Zugabe spielt er „O Tannenbaum“im HammondSou­nd mit aberwitzig­en MusicalHar­monien. Dieser Orgel-Verrückte steht zweieinhal­b Stunden nonstop unter Hochspannu­ng. Denn in der Pause signiert er pausenlos CDs und Programme, posiert für Selfies und schüttelt die Hände der Fans. Und ist ganz freundlich, schüchtern fast. Irgendwie zum Liebhaben.

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