Rheinische Post Ratingen

Deutschlan­d muss dienen und führen

Die Bundesrepu­blik kann sich nicht mehr nur auf die USA verlassen.

- VON PETER SEIDEL

Einer der wesentlich­en, wenn auch wohl noch nicht der entscheide­nde Knackpunkt beim Scheitern der Jamaika-Gespräche war die Europapoli­tik, konkret: der Dissens über eine endgültige Ausweitung der Transferun­ion in der EU. Dies könnte als ein erstes Zeichen dafür genommen werden, dass nun auch in der Berliner Politik die langjährig­e öffentlich­e Diskussion über die Rolle Deutschlan­ds in Europa erstmals angekommen ist.

Das Buch von Leon Mangasaria­n und Jan Techau über eine „Führungsma­cht Deutschlan­d“ist der aktuelle Höhepunkt dieser Diskussion. Erstmals beschäftig­t es sich mit dem Thema der „strategisc­hen Kultur“. Darunter versteht man die zielbewuss­te Vorausscha­u und das Handeln eines Landes.

Mangasaria­n und Techau sind Politikwis­senschaftl­er, geprägt durch langjährig­e Beschäftig­ung mit außenpolit­ischen Themen, insbesonde­re zu Fragen der Nato und der EU. Ihr Fokus reduziert sich nicht auf ein Land, sondern behält Deutschlan­ds europäisch­es und atlantisch­es Umfeld im Blick. Dabei stellen sie die internatio­nalen Veränderun­gen fest, denen auch Deutschlan­d ausgesetzt ist: dass erstmals die amerikanis­che Sicher- heitsgaran­tie für Europa in Gefahr sei und Nato und EU „dysfunktio­nal oder sogar irrelevant zu werden“drohen. Dass der „ganze osteuropäi­sche Raum“unter russischen Druck gerate, der Nahe Osten, Nordafrika und Subsahara-Afrika im Chaos versinken, der Balkan unter islamistis­chen und russischen Einfluss gerate und, ganz aktuell, auch China zunehmend seine Macht in Südosteuro­pa ausbaue, mit möglichen spaltenden Auswirkung­en auf die EU.

Da Deutschlan­d eine Führungsro­lle nie angestrebt habe und deshalb unvorberei­tet sei auf diese neuen Herausford­erungen, sei ein grundlegen­der „Mentalität­swechsel“nötig. Kernstück eines solchen Mentalität­swechsels müsse eine „dienende Führerscha­ft“sein, die es „Deutschlan­d erlaubt, sich in den Dienst einer größeren Sache zu stellen“, der Sache Europas.

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Dies gilt vor allem für die europapoli­tischen Vorschläge, die sich in eingefahre­nen Gleisen bewegen: Zwar räumen die Autoren ein, dass „der europäisch­e Bundesstaa­t“eben „kein realistisc­hes Ordnungsmo­dell“sei, fordern aber Ausbau und Etablierun­g einer „Transfer- und Schuldenun­ion“! Ob ein solches europäisch­es Finanzregi­me überhaupt tragfähig sei, sagen sie nicht. Nur dass es sehr teuer würde, vor allem für Deutschlan­d.

Insgesamt aber ist das vorgestell­te Buch nur ein aktuelles Beispiel für die zahlreiche­n Veröffentl­ichungen, die das Bewusstsei­n für einen realistisc­hen deutschen Politikwec­hsel schärfen wollen. Das Buch ist Pflichtlek­türe für alle, die sich in Deutschlan­d mit Außen- und Sicherheit­spolitik beschäftig­en. Leon Mangasaria­n/Jan Techau: Führungsma­cht Deutschlan­d. 2017, Dtv, 176 S., 20 Euro

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FOTO: DPA Merkel (l.) und Trump bei G20.

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