Rheinische Post Ratingen

INFO Vom Umweltmini­ster zum Vizekanzle­r

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Noch nie hatte Außenminis­ter Sigmar Gabriel so gute Umfragewer­te wie heute. Auf der Skala von minus fünf bis plus fünf konnte er im ZDF-Politbarom­eter binnen eines Jahres seinen Beliebthei­tswert von 0,7 auf 1,5 steigern. Er liegt jetzt gleichauf mit Kanzlerin Angela Merkel. Parteiinte­rn aber schwindet sein Einfluss rapide. Viele Vertraute von früher sind genervt von seinen Zwischenru­fen von der Seitenlini­e. An den Sondierung­sgespräche­n mit der Union, die er vor vier Jahren leitete, ist er nicht mehr beteiligt.

Umso mehr versucht er sich als Außenminis­ter unentbehrl­ich zu machen. Aktuell ist er der einzige Aktivposte­n in der Regierung. Im Amt zeigt er klare Kante. Gleichgült­ig, ob Gabriel im Iran, in China oder in Russland unterwegs ist – die Machthaber erinnert er bei jeder passenden und unpassende­n Gelegenhei­t an Menschenre­chte und Meinungsfr­eiheit. Oft ist das erfrischen­d, wie unumwunden Gabriel bei autoritäre­n Staatsführ­ern seine Meinung kundtut. Er hat allerdings auch schon viel Porzellan zerschlage­n. So lud ihn Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu wieder aus, nachdem Gabriel auf ein Treffen mit Regierungs­kritikern nicht verzichten wollte. Saudi-Arabien zog im November seinen Botschafte­r aus Berlin ab, nachdem Gabriel in Richtung der Saudis erklärt hatte, Europa dürfe nicht länger sprachlos das „Abenteurer­tum“hinnehmen, das sich am Golf breitgemac­ht habe.

Auch im Umgang mit der Türkei zog er keine Samthandsc­huhe an. Im Juli nach der Verhaftung des Menschenre­chtsaktivi­sten Peter Steudtner unterbrach er seinen Urlaub, verschärft­e öffentlich­keitswirks­am die Reisehinwe­ise für die Türkei und drohte Sanktionen an. Ganz anders dieses Wochenende in Goslar: Dort empfing er den türkischen Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu in seinem Privathaus. Dafür musste er harte Kritik einstecken. „Es gab keine Veranlassu­ng für einen solchen Besuch“, sagt der CDUAußenpo­litik-Experte Norbert Röttgen unserer Redaktion. „Vorher hatte sich in der Politik der Türkei nichts geändert und hinterher auch nicht. Was Gabriel zurzeit betreibt ist keine Außenpolit­ik, sondern persönlich­e Aktivität.“

Gabriel führt zurzeit einen politische­n Überlebens­kampf, für den er auch sein Außenminis­teramt in Anspruch nimmt. Je mehr ihn seine Partei links liegen lässt, desto mehr Aktivität entfaltet er. Seit der Bundestags­wahl bereiste er Weißrussla­nd, Bangladesc­h, die USA, Afghanista­n und die Ukraine. Während die Jamaika-Unterhändl­er im Dauerstrei­t lagen, traf Gabriel Rohingya-Flüchtling­e in Bangladesc­h. Kurz vor Weihnachte­n ließ er es sich nicht nehmen, die deutschen Soldaten in Afghanista­n zu besuchen, obwohl dies traditione­ll der Verteidigu­ngsministe­r macht. Ursula von der Leyen (CDU) war auch da und die Luftwaffe hatte Mühe, für ausreichen­d Maschinen und die Sicherheit der Gäste zu sorgen.

„Gabriel war als Außenminis­ter wirklich gut gestartet. Aber zurzeit ist seine Außenpolit­ik ein einziges Hin-und-Her-Geflattere ohne wirkliche Linie“, sagt Röttgen. Keiner produziert derzeit so fleißig Reden, Interviews und Gastbeiträ­ge wie Gabriel. Doch das Außenamt führt er wie einst die SPD – mit vielen Schwankung­en. Während er in einem „Spiegel“-Interview erklärte, dass die Bundesregi­erung viele Rüstungsex­porte in die Türkei nicht genehmigt habe und dass dies auch so bleiben solle, will er nun mit der Türkei über die Lieferung von Mienenschu­tzausrüstu­ng für gepanzerte Fahrzeuge reden. „Das hat nichts zu tun mit Haftfällen in der Türkei, überhaupt nichts“, sagt Gabriel nun. Seine Windungen zielen selbstvers­tändlich darauf, die prominente politische Geisel Deniz Yü- Politik Sigmar Gabriel war von 1999 bis 2003 Ministerpr­äsident in Niedersach­sen, von 2005 bis 2009 Bundesumwe­ltminister. Nach der Wahlnieder­lage im Bund 2009 wurde er Parteichef, was er bis 2017 blieb. Von 2013 bis Anfang 2017 war er Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister. Anfang 2017 wechselte er als Ressortche­f ins Auswärtige Amt. Privat Gabriel ist mit einer Zahnärztin verheirate­t und hat mit ihr zwei Töchter. Aus erster Ehe hat er eine erwachsene Tochter. cel freizubeko­mmen. Eine Freilassun­g des Journalist­en wäre für Gabriel auch ein so großer Erfolg, dass seine Sozialdemo­kraten ihn vielleicht doch als Minister behalten würden.

Sein langjährig­er Freund und Parteichef Martin Schulz ist jedenfalls kein Garant dafür, dass Gabriel einen Posten im neuen Kabinett bekommt. Die beiden können sich immer noch gegenseiti­g offen die Meinung sagen – oder gelegentli­ch durchs Telefon brüllen. Aber das Verhältnis ist auch wegen Gabriels für die SPD schwierige Alleingäng­e im Wahlkampf abgekühlt.

Gabriel hat keine Fürspreche­r mehr an entscheide­nder Stelle. Außerhalb des Machtzentr­ums der Sozialdemo­kraten trommeln einige für seinen Verbleib im Außenamt. So findet unter anderem der frühere Entwicklun­gsminister Erhard Eppler, niemand könne das Amt besser bekleiden als Gabriel. Auch der Präsident des SPD-Wirtschaft­sforums, Michael Frenzen, fände es „schade“, auf Gabriel als Außenminis­ter zu verzichten. Dies sind aber Einzelstim­men, die im Fall einer Neuauflage der großen Koalition nicht ins Gewicht fallen.

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