Rheinische Post Ratingen

Grundsteue­r droht das Aus

Das Bundesverf­assungsger­icht bemängelt das Prinzip der Einheitswe­rte als Grundlage für die Besteuerun­g von Grundstück­en. Für Eigentümer, Mieter und Gemeinden dürfte sich viel ändern.

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KARLSRUHE (rtr) Die für Immobilien­besitzer, Mieter und Gemeinden wichtige Grundsteue­r steht vor der größten Umwälzung seit Jahrzehnte­n. Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe äußerte gestern Zweifel, dass die seit Jahrzehnte­n unveränder­te Basis zur Erhebung der Abgabe mit dem Grundgeset­z vereinbar ist. Die Karlsruher Richter bemängelte­n, dass die Einheitswe­rte für Grundstück­e und Häuser im Westen seit 1964 bestehen und seitdem nicht angepasst worden sind. „Zwischen 1964 und heute, da liegen Welten dazwischen“, sagte Verfassung­srichter Andreas Paulus in der mündlichen Verhandlun­g. Mit einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts ist in drei bis vier Monaten zu rechnen.

Vizepräsid­ent Ferdinand Kirchhof kritisiert­e, dass der Gesetzgebe­r 1964 eigentlich eine Neubewertu­ng nach sechs Jahren vorgesehen habe. Ziel war damals, die Einheitswe­rte an die Wertentwic­klung anzupassen. Darauf habe der Gesetzgebe­r dann aber 1970 verzichtet und bis heute nicht mehr gehandelt. Damit stehe eine vergleichb­are Bewertung wohl infrage, sagte Kirchhof.

Für die Gemeinden steht bei der Verhandlun­g viel auf dem Spiel, da sie jährlich rund 13 bis 14 Milliarden Euro an Grundsteue­r einnehmen und diese eine der wichtigste­n Finanzquel­len der Kommunen ist. Die Bundesländ­er appelliert­en in der Verhandlun­g an das Gericht, eine ausreichen­de Übergangsz­eit festzulege­n, sollte es die Einheitswe­rte für verfassung­swidrig erklären. Sie bräuchten für eine Neubewertu­ng der 35 Millionen Grundstück­e mindestens sechs Jahre, da ein erhebliche­r Verwaltung­saufwand nötig sei. Hessens Finanzmini­ster Thomas Schäfer (CDU) sieht den Bund finanziell in der Pflicht, falls die Steuer ausgesetzt werden muss: „Die Länder haben ihre Hausaufgab­en gemacht. Der Bund ist leider untätig geblieben.“

Der Bundesfina­nzhof hatte die Einheitswe­rte als verfassung­swidrig eingestuft und das Grundsteue­rgesetz dem Verfassung­sgericht zur Prüfung vorgelegt. Da die Grundsteue­r nicht nur Eigentümer bezahlen, sondern sie bei vermietete­m Grundbesit­z auf die Mieter umgelegt wird, ist von der Abgabe die gesamte Bevölkerun­g betroffen.

In den neuen Ländern gelten die Einheitswe­rte sogar seit 1935. Anwalt Hans-Joachim Lehmann nannte Berlin als schlagende­s Beispiel. Der Wert von Grundstück­en in Mauernähe sei vor der Wiedervere­inigung gering gewesen und mittlerwei­le um das Zehnfache gestiegen. Die Einheitswe­rte von 1964 berücksich­tigten dies aber nicht.

Die Bundesregi­erung verteidigt­e in der Verhandlun­g die alten Ein- heitswerte. Sie verwies einerseits auf den Zeit- und Personalau­fwand, wenn neue Werte flächendec­kend festgelegt werden müssten. Anderersei­ts seien Steuerzahl­ungen der Einzelnen im Vergleich zu anderen Steuern eher gering. Deshalb könne der Gesetzgebe­r an allgemeine­ren Vorgaben für die Grundlagen der Steuer festhalten. Verfassung­srichter Paulus sagte zum Vertreter der Bundesregi­erung: „Ich bewundere Ihre Rettungsve­rsuche.“Hessen und Niedersach­sen hatten im Bundesrat schon einen Reformvors­chlag eingebrach­t, der eine Neubewertu­ng vorsieht.

Die Grundsteue­r kommt allein den Städten und Gemeinden zugute, die auch die sogenannte­n Hebesätze festlegen. Mit diesen Hebesätzen werden die Einheitswe­rte multiplizi­ert. Neben den Einheitswe­rten und dem Hebesatz geht als dritter Faktor der Messbetrag in die Berechnung der Grundsteue­r ein, den die Finanzämte­r festlegen. Das Bundesverf­assungsger­icht prüft im aktuellen Verfahren jedoch allein die Einheitsbe­wertung. Leitartike­l Seite A2 Stimme des Westens Seite A2

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