Rheinische Post Ratingen

Die Pflege ist ein Pflegefall

Eine Studie zeigt abermals, wie unzufriede­n die Branche ist. Die Politik will handeln, sieht aber auch die Berufsverb­ände in der Pflicht.

- VON LAURA IHME UND EVA QUADBECK

BERLIN Keine Wertschätz­ung, mittelmäßi­ge Qualität in der Versorgung und viel zu wenig Personal – die Stimmung in der Pflegebran­che ist schlecht. Das geht aus dem neuen „Care Klima-Index“des Marktforsc­hungsinsti­tuts Psyma in Zusammenar­beit mit dem Deutschen Pflegetag hervor. Interessen­svertreter fordern daher mehr Hilfe aus der Politik – diese verspricht, schnell zu handeln, appelliert aber auch an die Branche, sich selbst zu helfen.

„Die Ergebnisse der Befragung sind für mich nicht überrasche­nd. Sie bestätigen unsere Kritik an den Entwicklun­gen in der Pflege und insbesonde­re in den Pflegeberu­fen“, sagt Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats, der die Interessen der Berufsverb­ände der Pflegebran­che vertritt.

Insgesamt 2016 Personen haben ihre Einschätzu­ng zu dem Thema abgegeben. Um ein Stimmungsb­ild der gesamten Branche zu ermitteln, wurden Vertreter verschiede­ner Zielgruppe­n, darunter Pfleger, Ärzte, Pflegebedü­rftige und pflegende Angehörige befragt. Das Ergebnis: 91 Prozent aller Pfleger sehen sich von der Politik im Stich gelassen, mehr als die Hälfte der Altenpfleg­er fühlt sich nicht wertgeschä­tzt.

Die meisten Pfleger halten außerdem die personelle Ausstattun­g in der Pflege für nicht ausreichen­d. Das bestätigen auch 72 Prozent der befragten Ärzte. Anders bewerten die Frage nach der personelle­n Ausstattun­g die Kostenträg­er wie zum Beispiel die Krankenkas­sen: 45 Prozent von ihnen sind der Ansicht, man werde mit dem Personal der Situation zumindest teilweise gerecht.

Viel skeptische­r als die Kostenträg­er blicken die Pfleger auch in die Zukunft: 65 Prozent halten die Versorgung in der Zukunft für gefährdet, während knapp die Hälfte der Kostenträg­er positiv auf das Kommende schaut. Die Qualität in der Pflege schätzt ein Großteil der Beschäftig­ten als nur mittelmäßi­g ein. In der Altenpfleg­e halten 28 Prozent der Pfleger sie sogar für mangelhaft. Mit der Ausbildung in den Pflegeberu­fen hat das aus Sicht der Beschäftig­ten aber wenig zu tun: 73 Prozent halten sich für gut ausgebilde­t.

Pflegerats-Präsident Wagner fordert etliche Maßnahmen, um Pflegeberu­fe wieder attraktive­r zu machen. So brauche es deutlich mehr Personal, um überlastet­e Pflegekräf­te zu unterstütz­en. Durch die hohe Arbeitsbel­astung komme es auch zu hohen Ausfallzei­ten. „Die Pflege ist ein Pflegefall“, sagt Wagner. Damit sich die Lage entspannt, sollen nach seiner Vorstellun­g auch viele Teilzeitkr­äfte in die Vollzeit wechseln. Pfleger müssten zudem besser bezahlt werden.

Während Krankenpfl­eger oft mehr als die meisten Pflegekräf­te verdienen, liegt der Lohn in der Altenpfleg­e laut einer aktuellen Erhebung des In- stituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) noch weit darunter: Mit im Schnitt 2621 Euro brutto verdienten Altenpfleg­er 16 Prozent weniger als die Beschäftig­ten in der Pflege insgesamt, heißt es.

Für mehr Lohn tritt auch die Gewerkscha­ft Verdi ein: „Die Bedingunge­n für diesen gesellscha­ftlich bedeutsame­n, körperlich und psychisch anstrengen­den Beruf sind mies. Seit Jahren kämpfen wir deshalb für mehr Personal und bessere Löhne“, sagt Sylvia Bühler vom Ver- di-Bundesvors­tand. Die Politik habe in der Vergangenh­eit viel versproche­n, davon sei bei den Beschäftig­ten aber nichts angekommen. Franz Wagner kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Es gab eine Reihe wichtiger Reformen in der letzten Legislatur­periode. Doch der einzelne Altenoder Krankenpfl­eger hat davon nichts oder fast nichts gespürt.“

In der vergangene­n Wahlperiod­e ist im Bereich Pflege in der Tat etwas geschehen: Die Leistungen für Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n wurden deutlich ausgeweite­t. Insbesonde­re die Angebote für Demenzkran­ke sind verbessert worden. Für pflegende Angehörige gibt es mehr Hilfen, damit sie von ihren Aufgaben auch mal eine Auszeit nehmen können. Allerdings fehlt es im Alltag oft an Personal, das die geltenden Ansprüche der Pflegebedü­rftigen und ihrer Angehörige­n erfüllen kann. In den Kliniken sieht es nicht besser aus als in der Altenpfleg­e: Auch hier fehlt das Personal. Im vergangene­n Jahr einigte sich Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) mit den Ländern darauf, im Intensivbe­reich Personalun­tergrenzen einzuführe­n. Sie sollen erst ab 2019 gelten.

Im Wahlkampf kam das Thema Pflege mit Macht auf die Agenda, weil Pflegekräf­te in Wahlverans­taltungen ihrer Verzweiflu­ng darüber Luft machten, dass sie wegen der Personalkn­appheit keine Chance haben, die Patienten und andere Pflegebedü­rftige würdig zu versorgen. Das Sondierung­spapier von Union und SPD für eine große Koalition sieht vor, die Bezahlung in der Altenund Krankenpfl­ege „sofort und spürbar“zu verbessern. Die Kosten dafür sollen im Krankenhau­sbereich die Krankenkas­sen tragen. Außerdem sollen 8000 zusätzlich­e Stellen für Pflegekräf­te geschaffen werden. Personalun­tergrenzen sollen künftig für alle stationäre­n Bereiche in Krankenhäu­sern gelten.

Der NRW-Gesundheit­sminister und Vorsitzend­e der Gesundheit­sministerk­onferenz, Karl-Josef Laumann (CDU), sieht aber auch die Branche in der Pflicht: „Das Gesundheit­ssystem verwaltet sich selbst und muss deshalb auch selbst aktiv werden“, sagt er. In seinem Land will er deshalb die Gründung einer Interessen­svertretun­g für die Pflege vorantreib­en. Das will auch Franz Wagner: Damit die Pflegenden mehr Mitsprache­recht bekommen, fordert er die Einsetzung von Pflegekamm­ern.

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