Rheinische Post Ratingen

„Sehe keinen Sparwillen bei der Groko“

Der Präsident des Bundesrech­nungshofs fragt sich, wie Union und SPD alle ihre expansiven Ausgabeplä­ne finanziere­n wollen.

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BERLIN Die 1200 Beamten, denen Kay Scheller (57) beim Bundesrech­nungshof (BRH) in Bonn vorsteht, sollen überprüfen, ob die Bundesregi­erung verantwort­ungsvoll mit dem Geld der Steuerzahl­er umgeht. Für uns warf der BRH-Präsident einen Blick auf die Sondierung­sbeschlüss­e von Union und SPD.

Union und SPD haben sich viel vorgenomme­n: Sie wollen etwa Mütterrent­en erhöhen, Wohnungsin­vestoren fördern, Langzeitar­beitslose qualifizie­ren. Was vermissen Sie in dem Sondierung­sbeschluss?

SCHELLER Auffällig ist, dass aus dem Sondierung­spapier nicht zu entnehmen ist, ob alle aufgeführt­en Maßnahmen durchfinan­ziert sind. Mit anderen Worten: Ich kann nicht erkennen, wie die genannten Vorhaben finanziert werden sollen. Es ist von einem Spielraum von 46 Milliarden Euro die Rede, die bis 2021 zur Verfügung stehen. Das ist aus Sicht des Rechnungsh­ofs eine realistisc­he und nachvollzi­ehbare Größe. Diese Summe reicht aber bei Weitem nicht aus, um die im Papier enthaltene­n Pläne von Union und SPD zu finanziere­n. Die Verhandlun­gspartner sollten daher ein komplettes Finanztabl­eau vorlegen – spätestens im Koalitions­vertrag.

Für welche Ausgabepos­ten gibt es denn keine Finanzieru­ng?

SCHELLER Für die aufgeführt­en Verbesseru­ngen im Rentensekt­or gibt es keinerlei Zahlen. Die Kosten für die geplante Erhöhung der Mütterrent­e zum Beispiel sind nicht ausgewiese­n. Hierfür würden nach Schätzunge­n der Deutschen Rentenvers­icherung bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich gebraucht. Das ist eine versicheru­ngsfremde Leistung, die konsequent­erweise aus dem Bundeshaus­halt finanziert werden müsste...

Das will die große Koalition aber aus Beitragsmi­tteln bezahlen...

SCHELLER Und dennoch steigen die Leistungen aus dem Bundeshaus­halt an die Rentenvers­icherung, auch ohne Erhöhung der Mütterrent­e. Zudem würden die anderen Rentenplän­e – also die Stabilisie­rung des Rentennive­aus auf 48 Prozent, die Einführung einer Grundrente und Vieles mehr – dazu führen, dass der Bundeszusc­huss zur Rentenvers­icherung voraussich­tlich noch deutlich vor 2021 die 100Milliar­den-Euro-Marke durchbrech­en wird.

Wo sehen Sie noch eine Unterfinan­zierung im Groko-Plan?

SCHELLER Union und SPD wollen künftig mehr Geld für den EU-Haushalt bereitstel­len. Die EU-Kommission fordert deutlich mehr Geld von Deutschlan­d nach dem Brexit und für neue Maßnahmen. Nach vorsichtig­er Schätzung dürfte Deutschlan­d als Nettozahle­r dann bis 2021 mindestens zehn Milliarden Euro mehr in die EU-Kasse zahlen müssen als bisher.

Das Wort Haushaltsk­onsolidier­ung kommt nicht vor. Oder haben Sie es irgendwo entdeckt in den 28 Seiten?

SCHELLER Nein, den Willen für eine qualitativ­e Konsolidie­rung durch den Abbau von Steuersubv­entionen kann ich bei den Sondierern bisher nicht erkennen. Es wäre aber sehr wichtig, neue Handlungss­pielräume im Haushalt zu schaffen. Im Sondierung­spapier ist eine expansive Ausgabenpo­litik angelegt. Ich sehe schon jetzt nicht, wie man da mit 46 Milliarden Euro auskommen will.

Aber die Steuereinn­ahmen sprudeln doch immer weiter.

SCHELLER Ja, aber beim Bund schwindet die Einnahmenb­asis in den kommenden Jahren trotz der allgemein guten Wirtschaft­slage, weil der Bund den Ländern große Teile von seinem Steuerkuch­en schon abgegeben hat. Das sehen Sie auch daran, dass der Überschuss des Bundes 2017 mit drei Milliarden Euro vergleichs­weise gering ausfällt, während die Länder ein Plus von 16 Milliarden Euro erzielt haben. Ab 2020 wird der Bund den Ländern im Zuge der Bund-LänderFina­nzreform nochmals zehn Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich geben.

Was sollte denn eingespart werden?

SCHELLER Neben einer umfassende­n Ausgabenkr­itik denke ich auf der Einnahmens­eite an den ermäßigten Umsatzsteu­ersatz, der seit 40 Jahren für etliche Produkte gewährt wird, von denen heute aber viele gar nicht gefördert werden müssten. Vor vier Wochen waren Weihnachts­bäume stark gefragt, hier gibt es sage und schreibe vier verschiede­ne Steuersätz­e. Oder auf pürierte Fruchtsäft­e zahlt man sieben Prozent, auf gepresste 19 Prozent Umsatzsteu­er. Weitere Beispiele sind Kaffeepulv­er und Instantkaf­fee: Sie unterliege­n dem ermäßigten Steuersatz – Kaffeegetr­änke aus dem Automaten dagegen dem Regelsteue­rsatz. Und nicht zu vergessen: Der 2010 eingeführt­e ermäßigte Steuersatz für das Hotelgewer­be gilt immer noch. Hier sollte die Politik einfach mal mutig rangehen. Auch die steuerlich­e Vergünstig­ung des Dieselkraf­tstoffes macht keinen Sinn mehr, weil Diesel aus heutiger Sicht unterm Strich keinen ökologisch­en Vorteil gegenüber Benzin bringt.

Wie bewerten Sie, dass die Groko jede Menge neuer Subvention­en plant, etwa zur Wohnungsba­uförderung?

SCHELLER Zunächst sieht der Beschluss auch vor, dass der Bund den sozialen Wohnungsba­u, für den die Länder seit der jüngsten Föderalism­usreform komplett allein zuständig sind, auch 2020 und 2021 durch zweckgebun­dene Zuweisunge­n weiter fördert. Hier besteht die Gefahr für den Bund, dass er zwar für den Wohnungsba­u mitbezahlt, aber die zweckgemäß­e und wirtschaft­liche Verwendung der Mittel nicht kontrollie­ren kann.

Welches Zinsrisiko kommt auf den Bund in den kommenden Jahren zu?

SCHELLER Wie lange die Niedrigzin­sphase der letzten Dekade noch anhält, ist ungewiss. Dann werden die Refinanzie­rungskoste­n des Bundes, der mit über einer Billion Euro verschulde­t ist, sehr schnell steigen. Wenn die Zinsen wieder steigen, rückt der Bundeshaus­halt automatisc­h wieder näher an die Defizitgre­nze heran. Deshalb appelliere­n wir ja an die Politik: Macht euch durch Haushaltsk­onsolidier­ung unabhängig­er von Konjunktur- und Zinsschwan­kungen. BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: IMAGO Kay Scheller

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