Rheinische Post Ratingen

Torwart gibt Nachhilfe in Regelkunde

Silvio Heinevette­r hat bei der Handball-EM das deutsche Team vor einer Niederlage bewahrt. Er machte die Schiedsric­hter vehemnt auf einen Regelverst­oß der Slowenen aufmerksam. Heute Abend geht es gegen Mazedonien um den Gruppensie­g.

- VON ECKHARD CZEKALLA

ZAGREB Kurz vor 12 Uhr gestern kam die Nachricht, dass der Protest des slowenisch­en Handballve­rbandes gegen die Wertung des Spiels gegen Deutschlan­d (25:25) von der Europäisch­en Handball-Föderation (EHF) abgelehnt worden war. „Wir sind froh, dass nun Klarheit herrscht“, sagt Bob Hanning, der

„Die Bad Boys standen am Montag eindeutig auf der anderen Seite“

Bob Hanning DHB-Vizepräsid­ent beim Deutschen Handballbu­nd als Vizepräsid­ent für den Leistungss­port zuständig ist. Eine andere Entscheidu­ng hatte er aber auch nicht erwartet, weil „die Entscheidu­ng der Schiedsric­hter regelkonfo­rm, aber auch glücklich für uns war“.

Dass nach 60 Minuten auf der Uhr ein Handballsp­iel, soweit es kein K.o.-Duell ist (dann sind Verlängeru­ng und Penaltywer­fen möglich), beendet ist, stimmt seit dem Montagaben­d in Zagreb nicht mehr. Da freuten sich die slowenisch­en Handballer gut eine Minute über den vermeintli­chen 25:24-Erfolg. Dann verfolgten Spieler, Trainer und Funktionär­e erst gebannt, dann in Gesprächen auch über die Teamgrenze­n hinaus, wie die litauische­n Schiedsric­hter weitere sechs Minuten brauchten, um ihre Entscheidu­ng mit Hilfe des erstmals bei einer EM verwendete­n Videobewei­s zu fällen. Als Zirkus bezeichnet­e Sloweniens exzentrisc­her Trainer Veselin Vujovic die Findungsph­ase.

Silvio Heinevette­r war nach dem 25. Treffer der Slowenen auf die Schiedsric­hter zugestürmt. Gleich drei Gegenspiel­er hatten Paul Drux, der schon fast flehentlic­h auf den Mittelkrei­s zeigte, beim Anwurf behindert. Das ist nicht erlaubt. Da dies innerhalb der letzten 30 Sekunden geschah, gab es neben der Roten Karte für Blas Blagotinse­k noch einen Strafwurf für die deutsche Auswahl, weil dies wohl Bruchteile von Sekunden vor dem Ablauf der 60 Minuten passiert war, was die Schiedsric­hter lange prüften. Es war ein Geschenk für die DHB-Auswahl, die keine Chance mehr hatte. Ein Wurf von der Mitte wäre nie im slowenisch­en Tor gelandet. Überzeugun­gsarbeit:

Der Berliner Schlussman­n ließ nicht locker, redete zunächst auf die Unparteiis­chen ein, dann gestikulie­rte er vor dem Kampfgeric­ht. Heinevette­r war für alle Augenzeuge­n der entscheide­nde Mann. Bob Hanning, zugleich Manager des Bundesligi­sten Füchse Berlin, relativier­te die Rolle des 33-Jährigen. „Der Video- und Oberschied­srichter der EHF ist herunterge­kommen und hat das initiiert“, erzählte er am Tag danach.

„So etwas habe ich auch noch nicht erlebt“, sagte Tobias Reichmann und meinte damit nicht nur die spektakulä­re Schlusspha­se einer Begegnung, in der seine Mitspieler eine Halbzeit lang keinen Zugriff auf die Partie bekamen (10:15), sich nach der Pause zwar steigerten, aber weit von dem entfernt waren, was sie sich vorgenomme­n und ihre Fans von ihnen erwartet hatten. Der Rechtsauße­n des Bundesligi­sten AT Melsungen stand nur 85 Sekunden auf dem Spielfeld, die lange Zitterpart­ie nicht mitgerechn­et. Nachdem Uwe Gensheimer zwei Straf- würfe vergeben hatte, war Reichmann an der Reihe. Den ersten verwandelt­e er im Nachwurf, dann „topfte“er zweimal ein, mustte danach aber stets auf der Bank zurück.

„Sicher ist es einfacher, wenn du im Spiel schon eingebunde­n bist. Aber ich hatte ja schon getroffen und konnte mir Sicherheit holen. Ich hatte ein gutes Gefühl, habe mich kurz noch für eine andere Wurfvarian­te entschiede­n. Zum Glück hat es gepasst“, sagte der 29Jährige. Beim EM-Triumph 2016, als Gensheimer, eigentlich die erste Wahl beim Strafwurf, verletzt fehlte, war Reichmann einer der Aktivposte­n. „Dass ich mich zehn Minuten für einen Siebenmete­r warm machen muss, gab es noch nie“, sagte er lächelnd. „Diese Warterei war schrecklic­h für beide Seiten“, meinte Kapitän Gensheimer.

Doch nun zählt nur der Blick nach vorne. Ab sofort hat die Mannschaft von Trainer Christian Prokop nur noch Endspiele. Heute (18.15 Uhr/ ARD) geht es gegen die zweimal siegreiche­n Mazedonier um den Gruppensie­g und die beste Ausgangspo­sition für die Hauptrunde. Ob man dann die maximale Ausbeute von vier Pluspunkte­n, drei, zwei oder nur einen Zähler mitnimmt, steht erst nach der Abendparti­e Slowenien – Montenegro fest.

„Wir müssen schnell lernen, denn ich möchte nicht noch einmal so etwas erleben wie mit dem Achtelfina­l-Aus gegen Katar vor einem Jahr bei der WM“, forderte Hanning. Leidenscha­ft, Engagement, Kämpferher­z, laut dem DHB-Vize eigentlich deutsche Tugenden, müssten wieder gezeigt werden. „Die Bad Boys standen am Montag auf der anderen Seite“, ergänzte Hanning. Tobias Reichmann, der darauf hofft, auch mal wieder „richtig“mitspielen zu dürfen, erwartet eine heißblütig­e Mannschaft, mit großer Wurfkraft, mit einem bulligen Kreisläufe­r, der Lücken schafft, und einer noch härteren Abwehrarbe­it als bei den Slowenen. „Bei der EM darfst du dir keine Auszeiten nehmen, dann bist du schnell raus aus dem Turnier“, sagte Trainer Prokop.

Star der Mazedonier ist Rückraumsp­ieler Kiril Lazarov. Dem 37 Jahre alten Torjäger, in dieser Saison in Nantes (Frankreich) aktiv, dürfte es allerdings nicht schmecken, dass Finn Lemke wieder dabei ist. Und nicht nur ihm, hoffen die Deutschen.

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