Rheinische Post Ratingen

Auf dem Traditions­hof wird es leidenscha­ftlich

- VON RENÉE WIEDER

In Australien war er, zehn Jahre lang. So weit weg wie möglich. Jetzt kehrt Jean (Pio Marmaï) auf das Weingut seiner Eltern in Burgund zurück und man kann ihm ansehen, dass er nicht will. Es ist Sommer, Erntezeit, die Hilfsarbei­ter stehen schon auf den Feldern. Auf dem Hof begrüßt Jeans Schwester Juliette (Ana Girardot) ihn stürmisch, sein kleiner Bruder Jérémie (François Civil) bleibt vorsichtig im Hintergrun­d. Tage später wird Jean zu einer Feldarbeit­erin sagen: „Früher dachte ich, jeder Tag sieht anders aus. Später wurde mir klar, dass sich hier nie irgendwas ändert.“

Es wird leidenscha­ftlich getrunken, gefeiert und auch geliebt in „Der Wein und der Wind”, dem neuen Familiendr­ama von Cédric Klapisch. Der französisc­he Regisseur („Beziehungs­weise New York”) mag es, Menschen zu beobachten, die versuchen, aus ihren verschiede­nen Welten zueinander durchzudri­ngen. Dieses Mal bringt er drei Geschwiste­r und ihre konträren Lebensplän­e zusammen. Er zwingt sie, sich nach einem Schicksals­schlag als Familie neu zu sortieren.

Die Mutter von Jean, Juliette und Jérémie ist schon lange tot, nun siecht der Vater dahin. Die Geschwiste­r sollen entscheide­n, ob sie den angeschlag­enen Traditions­hof behalten oder verkaufen wollen. Oben drauf kommen Konflikte, die seit der Kindheit zwischen ihnen schwelen. Jean ist in dem Trio das Fluchttier, der verlorene Sohn, der sich dem Ganzen nicht stellen will. In einer stillen, aber wuchtigen Sze- ne kauert Jean wie ein Junge am Bett des sterbenden Vaters, man sieht nur dessen Hand auf dem Laken liegen. Jean starrt sie an, als wäre sie zu mächtig, um danach zu greifen.

Ruhig und selbstbewu­sst zieht „Der Wein und der Wind” einen in Bann. Ausbrüche und dramatisch­e Gesten gibt es nicht in dieser Welt des Weins. Es wird geerntet, ausgelesen, gekeltert, verkostet und verkauft. Ein Jahr lang, von einem Sommer zum nächsten. Und zwischendu­rch wird im Gestern nach Antworten auf die Fragen von Heute gesucht, jeder macht das auf seine Weise. Jean kämpft mit der Entfremdun­g von Frau und Sohn, die er in Australien zurückgela­ssen hat. Juliette soll die Position des Vaters einnehmen und alle Entscheidu­ngen zum Weinanbau treffen, quält sich aber mit uralten Unsicherhe­iten. Und an Jérérmie frisst die Wut auf Jean, der eigentlich sein großer Bruder ist und doch noch so klein.

Behutsam faltet Klapisch jedes der Geschwiste­r bis ins Kleinste auf, bis man sich als Zuschauer selig in ihnen und den Burgunder Weinhängen verloren hat. Am Ende werden die drei entscheide­n, ob ihnen Tradition oder Freiheit, Familie oder das eigene Schicksal wichtiger ist. Zeiten ändern sich, Menschen ändern sich. Die Jahreszeit­en nicht. „Der Wein und der Wind“,

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