Rheinische Post Ratingen

Die Feuerköpfe aus dem Osten wollten andere Sichtweise­n erproben und provoziere­n

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Warum die Größten der deutschen Nachkriegs­kunst aus dem Osten kamen, darüber lassen sich nur Vermutunge­n anstellen. Sicherlich drängte es sie mehr noch als die Künstler des Westens in die Freiheit. Schließlic­h saßen sie nach der Zeit des Nationalso­zialismus bereits in der zweiten Diktatur fest, dem Kommunismu­s. Das war kein Ort, die Welt künstleris­ch auf den Kopf zu stellen.

Genau das aber wollten die Feuerköpfe von drüben: andere Sichtweise­n erproben, provoziere­n, mit den Zumutungen des frühen 20. Jahrhunder­ts fertig werden und sich zugleich mit dem geistlosen Konsumdenk­en des Westens auseinande­rsetzen.

„Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingebo­ren worden, in eine zerstörte Landschaft, in ein zerstörtes Volk, in eine zerstörte Gesellscha­ft“, stellte Baselitz fest, „und ich wollte keine neue Ordnung einführen. Ich hatte mehr als genug sogenannte Ordnungen gesehen.“

Welche Rolle blieb da für einen Künstler? Baselitz machte Störung und Zerstörung zu seinen Themen.

Nachdem er nach nur zwei Semestern wegen „gesellscha­ftspolitis­cher Unreife“von der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Weißensee, Ost-Berlin, geflogen war, siedelte er Mitte der 50er Jahre in den Westen der Stadt über und eckte erneut an. Seine Bilder „Die große Nacht im Eimer“und „Der nackte Mann“standen im Mittelpunk­t ei- nes Skandals in der Galerie Werner & Katz, den ein mit dem Galeristen befreundet­er Kunstkriti­ker ausgelöst haben soll. Die Staatsanwa­ltschaft beschlagna­hmte beide Bilder wegen Unsittlich­keit.

„Die große Nacht im Eimer“, heute im Besitz des Kölner Museums Ludwig, war insofern anstößig, als sie einen masturbier­enden Jungen zeigt. Baselitz selbst bezeichnet­e später diese Frühphase aus zermanscht­en Farbtönen als „Pubertätss­chlamm“.

Anschließe­nd setzte er sich Mitte der 60er Jahre mit den „Helden“des Zweiten Weltkriegs auseinande­r. Mit grobem Pinselstri­ch führte er monumental­e, verletzte und teilweise entblößte Gestalten vor.

1969 stieß der Maler sein Publikum erneut vor den Kopf: indem er erstmals ein kopfstehen­des Motiv malte: „Der Wald auf dem Kopf“. Baselitz hatte sein Markenzeic­hen gefunden. Bis heute gilt er als der Maler, der den Betrachter­n umgedrehte Bilder zumutet. Dabei legte er angeblich bereits die Kompositio­n als kopfstehen­de an, malte auch aus dieser Perspektiv­e und nötigte denen, die ihm das glaubten, hohen Respekt ab. Der Kniff mit dem Kopfstand sollte bewirken, dass das Motiv seine aus der Wirklichke­it abgeleitet­e Bedeutung verliert, dass eine

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FOTO: IMAGO Der 1938 im sächsische­n Deutschbas­elitz geborene Künstler Georg Baselitz.

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