Rheinische Post Ratingen

Theaterrei­se durch die Zeiten

- VON MATHIAS MEIS

Die Flügeltür zur Großen Bühne öffnet sich, und wir Besucher werden langsam eingelasse­n. Nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen haben, was bei manchen Gästen Diskussion­en auslöst, gelangen wir in den zweiten, größeren Teil des abgehängte­n Raums. Er ist ausgelegt mit puzzlearti­gen Schaumstof­fteilen auf dem Boden. Darauf sind in drei langen Reihen Ständer mit einem Kubus angeordnet, an denen sich zwei gegenüber befestigte Smartphone­s befinden. Deren Touchscree­ns werden noch von Bedeutung sein.

An diesen Kuben werden jeweils zwei der eintretend­en Besucher von den beiden Performern Kostis Kallivetra­kis und Vassilis Koukalani gegenüber platziert. Gespannte, fragende und teils auch skeptische Bli- cke tasten den Raum ab, „Träumende Kollektive (Staat 3)“beginnt. Es ist der Versuch einer demokratie­theoretisc­hen Zeitreise aus dem antiken Athen, der Wiege der Demokratie, in das digitalisi­erte 21. Jahrhunder­t. Kallivetra­kis und Koukalani fungieren dabei als Reiseleite­r, Gastgeber, Quizmaster, Schulmeist­er und Verbündete­r zugleich. Mit den Smartphone­s und einer für das Stück entwickelt­en App erkunden die Zuschauer in einer kollektive­n, fortwähren­den Abstimmung­sprozedur die Bedeutung des digitalen Raums für demokratis­che Prozesse.

Die Fragen der Performer an die Zuschauer ergründen deren Verhältnis zu Demokratie, Freiheit und Selbstbest­immung in Zeiten einer postmateri­alistische­n Demokratie­transforma­tion. Die Antworten werden in der allgegenwä­rtigen, über uns schwebende­n Cloud Iris gespei- chert und analysiert. Mit dieser Analyse werden die Zuschauer immer wieder neu gruppiert, treten in Dialog zueinander und werden durch diese Form der Interaktio­n zu Impulsgebe­rn des Geschehens.

Auch wenn die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerr­aum aufgehoben werden und Kostis Kallivetra­kis und Vassilis Koukalani wie zwei liebe Kerle von nebenan wirken und die Thematik tagesaktue­ll ist, verfliegt der Reiz des Gesehenen irgendwann. Das liegt nicht zuletzt an dem didaktisch­en Habitus des Regisseurs und Autors Daniel Wetzel. Dieser bildet zusammen mit Helgard Haug und Stefan Kaegi das Kollektiv „Rimini Protokoll“. „Träumende Kollektive (Staat 3)“ist der dritte Teil von „Staat 1-4“und changiert zwischen der Dystopie von Orwells „1984“und dem Ideenreich­tum von Dave Eggers’ „The Circle“.

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