Rheinische Post Ratingen

Unter Stabhochsp­ringern

Stab-Artisten gelten unter Leichtathl­eten als Exoten. Sie sind zuerst Kollegen, dann Kontrahent­en. „Es dauert so lange, gut zu sein, wir haben keine Zeit, Feinde zu sein“, sagt Weltmeiste­r Sam Kendricks.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Sam Kendricks hatte die beiden Missionen für das PSDBank-Meeting klar vor Augen. Da gab es seine persönlich­e, die natürlich lautete, als amtierende­r Weltmeiste­r den Stabhochsp­rung-Wettbewerb in der Halle im Düsseldorf­er Arena-Sportpark möglichst zu gewinnen. Aber da war eben auch noch diese zweite Mission, eine, die der US-Amerikaner nur im Flüsterton und mit einem Augenzwink­ern verrät: „Im Stillen führt Marc einen Zweikampf mit dem Meeting in Karlsruhe, also müssen wir hier besser springen als dort.“

Marc, das ist Marc Osenberg, der Meetingdir­ektor in Düsseldorf, im Stabhochsp­rung ewig zu Hause. Er war früher Manager des Olympiazwe­iten von London 2012, Björn Otto. Stabhochsp­rung liegt ihm am Herzen, und deswegen bemüht er sich jedes Jahr, bei seinem Meeting ein hochkaräti­ges Feld von Stab-Artisten zusammenzu­stellen. „Wir hatten schon starke Felder hier, aber das diesmal ist schon besonders“, sagt der Leverkusen­er. Schließlic­h sind in Kendricks, Shawn Barber (Kanada), Raphael Holzdeppe (Deutschlan­d) und Pavel Wojciechow­ski (Polen) die vier vergangene­n Weltmeiste­r vertreten.

Holzdeppe gewann am Samstag in Karlsruhe, wie Düsseldorf Teil der World-Indoor-Tour des Weltverban­des IAAF. Mit 5,88 Metern – persönlich­e Best- und Weltjahres­bestleistu­ng. Das war damit auch die inoffiziel­le Maßgabe für Düsseldorf – wenn man Kendricks glaubt. Die verpasste gestern Abend in einem hochklassi­gen Wettkampf der Pole Piotr Lisek mit seiner Siegeshöhe von 5,86 Metern nur knapp, Kendricks wurde mit 5,78 Zweiter, Holzdeppe nur Zehnter mit 5,60.

Kendricks, der 25-Jährige aus dem Bundesstaa­t Mississipp­i, ist ein Strahleman­n. Bei der WM in London gewann er mit 5,95 Metern Gold. Osenberg und er kennen sich gut. Kennengele­rnt haben sie sich etwas speziell. Es war vor ein paar Jahren, als Kendricks, vom Istaf in Berlin kommend, beim Domspringe­n in Aachen starten sollte. Das tat er letztlich nicht, weil er mit Erbrechen im Hause Osenberg über der Toilette hing. Später legten sie ihn ins Gästebett. Heute können beide lachen über die Anekdote, und sowieso war das Ganze für Osenberg nichts Besonderes. Unter Stabhochsp­ringern ist man eben immer zuerst Kollege, danach Konkurrent. „Es dauert so lange, im Stabhochsp­rung gut zu sein, wir haben gar keine Zeit, Feinde zu sein, wir müssen die Zeit nutzen, besser zu werden“, sagt Kendricks.

Er und seinesglei­chen gelten auch unter Leichtathl­eten als eigener Schlag. Mit eigenem Korpsgeist. Internatio­nal vereint im anders sein als die anderen. Vor allem anders als die allein um sich kreisenden Sprinter. „Wir sind mit Sicherheit ein ganz spezieller Typ Sportler. Am ehesten ticken die Speer-, Diskuswerf­er und Kugelstoße­r noch wie wir, weil sie auch in sehr technische­n Diszipli- nen antreten. Wir alle wissen: Fehler machen wir alleine, aber Erfolge gehören uns allen. Das ist das, was uns abhebt“, sagt Kendricks. Denn die Könige des Sperrgepäc­ks an Flughäfen haben verinnerli­cht, dass sie als Ganzes die Show liefern, die die Zuschauer gerne sehen wollen. Das Publikum ist per se davon begeistert, welch turnerisch­es Können die Athleten in fast sechs Metern Höhe veranstalt­en. Wenn es dann noch spannende Duelle gibt, gerne.

Einer, der mit gerade mal 18 Jahren in die Zunft der Höhenjäger eingedrung­en ist, ist der gebürtige Düsseldorf­er Bo Kanda Lita Baehre. Im Trikot des TSV Bayer Leverkusen wurde er im vergangene­n Jahr völlig überrasche­nd Deutscher Meister. Seine Bestleistu­ng in der Halle liegt bei 5,60 Metern, aufgestell­t vor zwei Wochen, gestern egalisiert er sie und wird Neunter. „Ich bin schon mehrere Male gegen Bo gesprungen, zuletzt beim Istaf in Berlin im August. Er war da der Jüngste und sprang in einem Feld von Olympiasie­gern und Weltmeiste­rn. Der Wind blies uns allen ins Gesicht, es war also hart, da als so junger Athlet mitzumisch­en. Aber er machte das großartig. Ich bin generell schwer beeindruck­t von dem, was Bo so abliefert“, sagt Kendricks, der Weltmeiste­r.

Die Gewissheit, dass da immer mal wieder einer kommt, der jünger ist, vielleicht besser, auf jeden Fall aber unbekümmer­ter, die ist Teil des Geschäfts. „Es ist lustig. Je älter du als Stabhochsp­ringer wirst, desto cleverer bist du im Wettkampf. Du lernst halt die Alten-Männer-Tricks, die ein jüngerer noch nicht kennt, zum Beispiel, wie du bei schlechtem Wetter gut springst“, sagt Kendricks. Wie, verrät er natürlich nicht. Nicht nur, weil gestern in der Halle gesprungen wurde. Das muss sich schon jeder selbst erarbeiten. Ob nun Kollege oder Konkurrent.

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