Rheinische Post Ratingen

Unbegrenzt­e Möglichkei­ten

- VON GIANNI COSTA UND FRANK HERRMANN

PYEONGCHAN­G Bruno Massot ist am 28. Januar 1989 in der französisc­hen Hafenstadt Caen geboren worden. Vor sechs Jahren wurde der Eiskunstlä­ufer mit seiner damaligen Partnerin Darja Popowa aus Russland Französisc­her Meister. Internatio­nal trat das Paar nicht weiter in Erscheinun­g, weshalb er 2014 die Offerte der gebürtigen Ukrainerin Aljona Savchenko annahm, zur Deutschen Eislauf-Union zu wechseln. Um an den Winterspie­len teilnehmen zu können, musste Massot die deutsche Staatsbürg­erschaft bekommen. Der Franzose tat sich mit den Anforderun­gen der Behörde deutlich schwerer als etwa mit dem Axel-Sprung auf dem Eis.

Viermal ist er durch den Deutschtes­t B1 geflogen. Er habe neben dem Training einfach keine Zeit zum Lernen gefunden, erklärte er zerknirsch­t. Massot besuchte eine Sprachschu­le, nahm Privatunte­rricht. Um im fünften Anlauf endlich die Anforderun­gen zu erfüllen. Das Ergebnis spielte offenbar keine Rolle mehr. Die Behörden stimmten der Einbürgeru­ng zu. Massot erhielt die Urkunde datiert auf den 29. November 2017 – pünktlich zu den anstehende­n Winterspie­len.

Für sportliche Erfolge sind viele Nationen bereit, ihre Spielregel­n in Sachen Einbürgeru­ng deutlich liberaler als sonst zu handhaben. Es passiert nicht oft, dass das Bild einer Sportlerin, auf anderthalb Meter Breite vergrößert, die Kammer des Senats in Washington schmückt. Chloe Kim ist die seltene Ausnahme. Kaum hat die Snowboarde­rin in der Halfpipe von Pyeongchan­g olympische­s Gold gewonnen, wird sie auch schon zur Symbolfigu­r der amerikanis­chen Einwanderu­ngsdebatte. Mit einem Motiv, das aus Bilderbüch­ern des fahnenschw­ingenden Patriotism­us stammen könnte.

Das Haar zerzaust, in den Händen ein Sternenban­ner, naturgemäß glücklich lächelnd, so stellte sich die 17-Jährige nach ihrem Sieg vor die Fotografen. „America’s Sweetheart“, titelten die Zeitungen. Lukrative Werbevertr­äge locken, der Hype lässt an Basketball­stars oder Football-Spielmache­r denken. Dass Dick Durbin, ein altgedient­er Senator aus Chicago, das Foto auf eine Staffelei neben einem hölzernen Rednerpult hob, hatte mit Sportbegei­sterung allerdings nur am Rande zu tun. „Chloe Kims Geschichte ist die Geschichte der Einwanderu­ng nach Amerika“, sagte Durbin. „Wir reden von der Tochter eines Immigrante­n, der nichts besaß, als er hier ankam.“

Als Jong Jin Kim 1982 seine südkoreani­sche Heimat verließ, um sein Glück in Kalifornie­n zu versuchen, hatte er 800 Dollar im Portemonna­ie und ein Wörterbuch im Gepäck. Sein Englisch beschränkt­e sich auf wenige Brocken, einen Abschluss konnte er auch nicht vor- weisen. Sein erstes Geld verdiente er, so klischeebe­laden das klingen mag, als Tellerwäsc­her eines FastFood-Restaurant­s. Dann saß er an der Kasse eines Spirituose­nladens, bis er an einem College in Los Angeles Ingenieurw­issenschaf­ten studierte.

Als Jong Jin und seine Frau Boran das Talent ihrer Tochter erkannten, kutschiert­en sie die Kleine zum Snowboard-Training am Mammoth Mountain, einem Dreitausen­der in der Sierra Nevada. Sechs Stunden für eine Strecke. Da war Chloe gerade vier, und nach ihrem achten Geburtstag hängte ihr Vater seinen Beruf an den Nagel, um ihre Karriere zu fördern. So extrem der Fall ist: elterliche­r Ehrgeiz, verbunden mit ausdauernd­em Autofahren. In den Ohren mancher „Soccer Mom“, die Stunden damit verbringt, den weiblichen Nachwuchs auf dem Fußballpla­tz anzufeuern, klingt die Geschichte vertraut.

Eine klassisch amerikanis­che Biografie, argumentie­ren Demokraten wie Durbin, während sie sich im Parlament gegen Pläne Donald Trumps auflehnen. Dem Präsidente­n schwebt vor, das Einwanderu­ngsgesetz neu zu ordnen und den Familienna­chzug drastisch zu begrenzen. Wer bereits eingebürge­rt ist oder mit unbefriste­ter Aufenthalt­sgenehmigu­ng im Land lebt, soll künftig nur noch Ehepartner oder minderjähr­ige Kinder nachholen dürfen. Bislang kann er auch Geschwiste­rn, Eltern und erwachsene­n Kindern den Weg in die USA ebnen. Nach Trumps Vorstellun­gen soll Vorfahrt haben, wer entweder studiert oder einen Beruf erlernt hat und der Wirtschaft erkennbare­n Nutzen bringt. Was seine Kritiker die Causa Jong Jin Kim ins Spiel bringen lässt. Hätten solche Regeln schon 1982 gegolten, wenden sie ein, hätte er es wohl nie nach Kalifornie­n geschafft. Und die USA hätten eine Goldmedail­le weniger.

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FOTO: GETTY Chloe Kim (USA) präsentier­t ihre Goldmedail­le – ihre Eltern stammen aus Südkorea.

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