Rheinische Post Ratingen

Song-Liste

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Einmal verschütte­te Thomas Schenk heißes Öl beim Versuch, Schnitzel zu braten. Er trug nur Socken, die Schmerzen waren unerträgli­ch. Seine Frau ist Hypnotiseu­rin. Bis dahin hatte er nicht an Hypnose geglaubt, doch sie hypnotisie­rte ihm die Schmerzen weg. So konnte er zur Beerdigung von Jochen Hülder gehen, dem Manager der Toten Hosen – jener Band, die so oft wie keine andere auf dem Sampler vertreten ist, den Schenk erfunden hat: die „Bravo Hits“. Jetzt ist die 100. Ausgabe erschienen. Schenk, Einzelhand­elskaufman­n und Betriebswi­rt, hatte die Idee 1992 und betreute die Kompilatio­n für seinen Arbeitgebe­r Warner bis 2004. Seit 2013 ist er im Ruhestand. Vom Jubiläum wird der 68-Jährige nicht viel mitbekomme­n. Heute beginnt er ein Hypnosesem­inar bei seiner Frau. Das Interview gab er, ohne seine hessische Herkunft zu verbergen.

Die „Bravo Hits“hatten ihren Höhepunkt in den 90ern. War dieses Jahrzehnt musikalisc­h nicht eine Katastroph­e?

SCHENK Mein persönlich­er Musikgesch­mack war es nicht. Es war damals aber gefragt. Die Leute mussten nicht mehr Musik studieren, sondern Elektriker werden.

Zu Ihrer Zeit war die Veröffentl­ichung der neuen „Hits“ein Ereignis.

SCHENK Der Karstadt in Essen öffnete schon um 7 Uhr. Dann konnten die Kids die „Bravo Hits“kaufen, bevor sie in die Schule gingen. Am Eingang gab es Sondertisc­he. Es war ein wenig so wie heute, wenn ein neues iPhone auf den Markt kommt.

Und Sie haben vier Tage gefeiert?

SCHENK Überhaupt nicht. Das war Tagesgesch­äft. „Bravo Hits“kamen raus, nächsten Tag auf Platz 1, geguckt, wie die Abverkäufe sind. Gefeiert haben wir einmal im Jahr, als wir die Platinplat­ten bekamen.

Wie haben Sie die „Bravo Hits“erfunden?

SCHENK So banal, dass man es gar nicht glauben kann. Ich war damals Chef von Warner Strategic Marketing, die Abteilung, die sich um die Zweitverwe­rtung der Songs gekümmert hat. Es muss der 6. Januar 1992 gewesen sein. Ich fuhr in Hamburg über die Lombardsbr­ücke zur Arbeit, als ein Rundfunksp­ot von Larrys Smashhits lief, die erschien bei Sony. Da ging es mir in meinem Kopf rum: Alle haben riesige Hitcompila­tions – Larrys Smashhits, Ronny‘s Pop Show, Formel 1, Top 30. Du hast alles versucht, Geld ausgegeben, aber nichts hat funktionie­rt. Die BatmanHits nicht, die Turtles-Hits nicht. Dann fiel mir ein, dass die Smashhits einen Comicstrip in der Bravo hatten. Da machte es klick: Warum macht man eigentlich nicht die Bravo zum Hören?

Und?

SCHENK Ich flog noch am selben Tag runter nach München, dort lief gerade die Bravo-Otto-Verleihung. Ich habe mit den zwei zuständige­n Menschen des Verlags gesprochen und den Deal per Handschlag klar gemacht. Denn die hatten an dem Tag anderes zu tun, als mit mir zu dealen. Also keine große Marketings­itzung, keine Marktforsc­hung. Einfach überlegt und Sack zugemacht.

Wie haben Sie die anderen Firmen überzeugt, Ihnen die Songs zu geben?

SCHENK Oft haben sie abgelehnt, weil sie Angst hatten, dass sich die Single oder das Album nicht verkauft. Sie wollten auch unser Produkt nicht stärker machen. Dann haben wir Druck gemacht. Manchmal nicht fein, aber wir haben alles gegeben, um den Titel zu kriegen.

Wie unfein war Ihr Druck?

SCHENK Wir sind zum Künstler gegangen und haben gesagt: Die wollen deinen Song nicht freigeben. Ich habe mal einen angerufen und gefragt, ob wir den Titel kriegen können. Später hat er mir erzählt, dass es für ihn nach dem Telefonat schwer war, den Hörer aufs Telefon zu legen, weil er um den Tisch getanzt ist. Das war für ihn ein Sechser im Lotto. Für die Künstler war das bares „BRAVO HITS“1 (1992) The KLF – America U96 – Das Boot (Techno Version) Marky Mark & The Funky Bunch – I Need Money Army Of Lovers – Obsession Right Said Fred – Don‘t Talk Just Kiss Depeche Mode – World In My Eyes New Kids On The Block – If You Go Away Hape Kerkeling – Hurz!!! Mr. Big – To Be With You Clouseau – Close Encounters Ten Sharp – You Fats Domino – I‘m Walking Roxette – Church of Your Heart Opus III – It‘s A Fine Day Osmond Boys – Show Me The Way Various Items – I Wanna Be A Kennedy (US Mix) „BRAVO HITS“100 (2018) Ed Sheeran – Perfect Luis Fons / Demi Lovato – Échame La Culpa Selena Gomez / Marshmello – Wolves Mike Singer – Flashbacks Die Toten Hosen – Alles Passiert Robin Schulz / Marc Scibilia – Unforgetta­ble Rita Ora – Anywhere David Guetta – Dirty Sexy Money Justin Bieber / BloodPop – Friends The Chainsmoke­rs – Sick Boy Bonus-CD (nur Limited Special Edition): Britney Spears – Baby One More Time Backstreet Boys – Everybody (Backstreet‘s Back) Robbie Williams – Angels Die Toten Hosen – Tage Wie Diese Juli – Perfekte Welle Geld. Ansonsten ging es zu wie im persischen Basar.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Songs denn ausgewählt?

SCHENK Charts, Charts, Charts. Ein Song von Madonna gehörte immer drauf. Wir haben auch geguckt, ob der Künstler bei „Wetten, dass . . ?“auftreten würde. Der Wert der „Bravo Hits“sollte mit der Zeit steigen, weil immer mehr Songs in die Charts eingestieg­en waren.

Haben Sie je Ihrem eigenen Geschmack nachgegebe­n?

SCHENK Nein. Nur einmal habe ich stark eingegriff­en. Die Gruppe Rammstein sollte unbedingt auf die „Bravo Hits“. Ich dachte damals: In Ramstein sind doch Menschen verbrannt. Und die gehen auf die Bühne, nennen sich Rammstein und machen Feuershows. Das ging mir gegen den Strich. Da habe ich meine Kraft eingesetzt, dass der Titel nicht draufkam.

Haben Sie bei amerikanis­chen Rapsongs vorher auf die Texte geguckt?

SCHENK Nein, haben wir nicht. Wir haben auf die Charts geguckt. Wir wollten ja einen Hitsampler veröffentl­ichen. Einer meiner Lieblingss­ätze ist: Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.

Wäre DJ Bobo je auf einer „Bravo Hits“gelandet, wenn es nach Ihrem Geschmack gegangen wäre?

SCHENK Ich habe so einen Allerwelts­geschmack, den ich auch nie hinterfrag­t habe. Ich bin Fan von Bruce Springstee­n durch und durch. Leider haben wir ihn nie für eine „Bravo Hits“bekommen.

Sie haben nie gedacht: Der Song ist aber furchtbar?

SCHENK Natürlich gab es Songs, die mir nicht gefallen haben. Aber wenn ein Song in den Charts war, hat mich das überzeugt.

Die Toten Hosen waren so häufig auf den „Bravo Hits“wie kein anderer Künstler, nämlich 31 Mal. Ich könnte mir vorstellen, die mussten als Punkband erst mal überzeugt werden, auf dem Sampler aufzutauch­en.

SCHENK Nö, überhaupt nicht. Ihr Manager Jochen Hülder hat geguckt, wo sich mit den Toten Hosen am meisten Geld verdienen ließ.

Wen außer Springstee­n verehren Sie?

SCHENK AC/DC und Johnny Cash. Aber ich bin normal musikbegei­stert wie andere Leute auch. Ich kam aus dem Marketing. Ich habe Wirtschaft studiert und Plastik verkauft.

Welche „Bravo Hits“sind Ihr Favorit?

SCHENK „Bravo Hits“26.

Weil die sich am besten verkauft hat?

SCHENK Einmal das und weil es ein so gelungenes Cover ist. Das ist die mit dem Eis vorne drauf.

Bevor Sie mit den „Bravo Hits“meine Jugend geprägt haben, haben Sie meine Kindheit geprägt. Was genau hatten Sie mit den Hörspielen von Benjamin Blümchen zu schaffen?

SCHENK In den 80ern habe ich bei der Plattenfir­ma Teldec gearbeitet. Da gab uns ein Partner die Hörspiele von Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg. Ich war Abteilungs­leiter MUF, Musik und Freizeit, und bekam dieses Thema aufs Auge gedrückt. Mit dem Elan eines jungen Mannes bin ich rangegange­n und habe Vertreter gesucht, um die Hörspiele in die Läden zu bekommen. Keinen aus dem Musikbusin­ess, die konnten damit nichts anfangen. Ich habe Leute gesucht, die Backsteine verkaufen oder Schrauben. Für die war das was Großes. Meine Tochter, damals blond und klein, war das erste Pressefoto von Bibi Blocksberg. Wenn ich später durch eine Rockmusik-Plattenfir­ma ging, haben mir die Leute Töröö hinterherg­erufen.

Sie bekommen jede „Bravo Hits“zugeschick­t. Wo lagern Sie die Platten ?

SCHENK Ich habe gar nicht mehr alle. Die würden zu viel Platz wegnehmen. SEBASTIAN DALKOWSKI FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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