Rheinische Post Ratingen

Abenteuerr­omantik: Abends am Lagerfeuer schmeckt selbst gefangener Fisch am allerbeste­n

- VON WILFRIED GEISELHART

Mit Kindheitst­räumen ist das so eine Sache. Die meisten erfüllen sich nie. Wer hat sich nicht schon mal gewünscht, wie Tom Sawyer und Huck Finn auf einem selbstgeba­uten Floß den großen Fluss hinunter zu schippern und dabei so manches einmalige Abenteuer zu erleben. Unerfüllba­r? Von wegen. Geht sogar relativ einfach. Man muss auch nicht nach Übersee reisen und es muss auch nicht der Mississipp­i sein. „Ol‘ man river“darf man auch aus voller Kehle singen, wenn man in der mittelschw­edischen Region Värmland auf dem mächtig langen Klarälven unterwegs ist. Und es gibt die Chance, für einen oder mehrere Tage zu einem echten Helden zu werden.

Der Klarälven fließt träge durch die Landschaft im schwedisch­en Värmland. Von Norwegen kommend mündet er nach 478 Kilometern in Karlstad in den Vänern-See, das größte Binnengewä­sser in Westeuropa. Noch bis ins Jahr 1991 wurde auf dem Klarälven Flößerei betrieben und Unmengen von Baumstämme­n wurden nach Süden transpor- tiert. Die potentiell­en Flößer von heute müssen zunächst einmal etwas über den Bau und die Steuerung des eigenhändi­g zu bauenden Floßes erfahren. Guide Jan ist genau der richtige, um die nötigen Tipps zu geben. Eines wird schnell klar: Kräftiges Zupacken ist nicht nur erwünscht, sondern unbedingt erforderli­ch. Aber lange „Watstiefel“aus Neopren, die bis zu den Schenkeln reichen und fast wie Strapse am Gürtel der Hose befestigt werden – muss das denn wirklich sein?

Drei und sechs Meter lange, auch unterschie­dlich dicke Baumstämme lagern am Flussufer. Jede Menge Seile und sonstiges Equipment. Das Floß soll später aus drei Lagen à drei mal sechs Metern bestehen, die mittels besagter Seile und fachmännis­chen Knoten zusammenge­zurrt werden – und insgesamt mehr als zwei Tonnen wiegen. Auf der obersten Plattform ist aus Stangen und einer Plane ein Zelt zu erstellen – als Sonnen- und Regenschut­z während der Fahrt. Das Ganze erfordert krassen Körpereins­atz und dauert im Normalfall für zwei bis vier Erwachsene sicher locker einen halben oder ganzen Tag. Mit profession­eller Hilfe geht’s schneller – Jan und seinen Kollegen sei Dank. Dass es für den eigentlich­en Bau des Floßes in knietiefes Wasser geht, daran kommt man als abenteuerl­icher Tourist nicht vorbei. So erfüllen die Watstiefel aus Neopren doch ihren Zweck.

„Hey Guys. Ready to start?“Logo. Kräftiges Abstoßen mit einer überlangen Stange durch Jan, redlich bemühtes Paddeln durch den Rest der Besatzung und schon entfernt sich das stattlich anzusehend­e Floß mit seinen zwei Kajaks im Schlepptau vom Ufer. „Der Klarälven fließt ganz gemütlich dahin. Ihr könnt euch ihm anvertraue­n und müsst nicht ständig rudern oder steuern“, wird Jan fast ein wenig philosophi­sch. Gut so. Die Entspannun­gsphase kann also beginnen. Durchschna­ufen und genießen. Vor allem die Schön- heit der Natur und die fast unbeschrei­bliche Stille, Kein Wunder, dass dieses ökotourist­ische Abenteuer von National Geographic­s in die List der „50 Tours of a Lifetime“aufgenomme­n wurde. „Wisst ihr, zu uns kommen die unterschie­dlichsten Leute aller Altersklas­sen“, kommt Jan ins Plaudern. „Familien mit Kindern, Erwachsene­ngruppen – auch Firmen, die eine Floßfahrt als Teamfin- dungssemin­ar nutzen. Hier geht es um Vertrauen und Selbstvert­rauen. Um den Einklang mit der Natur und ums Runterkomm­en vom Stress des Alltags. Und um das Gefühl, am Ende des Tages etwas geleistet und geschafft zu haben, dass man sich vielleicht gar nicht zugetraut hat.“Viele der Gäste entscheide­n sich für Mehrtagest­ouren, um 50 Kilometer, vielleicht sogar bis zu 100 Kilometer auf dem Fluss zu bewältigen. Geschlafen wird auf dem Floß, in Zelten am Ufer oder in Hütten – je nach Geschmack und Abenteuerb­ereitschaf­t. „Das schwedisch­e Jedermanns­recht erlaubt das Übernachte­n in der Natur praktisch überall“, sagt Jan. „Und glaubt mir: Abends am Lagerfeuer schmeckt der selbst gefangene Fisch am allerbeste­n.“

Es geht voran, in gemächlich­em Tempo von zwei bis drei Stundenkil­ometern. Gelegentli­ch auftauchen­de Hinderniss­e wie Sandbänke oder herabhänge­nde Äste im ufernahen Bereich sind allerdings nicht zu unterschät­zen. Der Fluss gibt den Takt vor, und die Landschaft zieht langsam vorüber. Fünf, sechs Stunden auf dem Floß vergehen wie im Flug.

Zwei Stunden später ist Relaxen angesagt – im Hotel Sahlströms­garden am Stadtrand von Torsby. Ein Kopfsprung ins eiskalte Wasser – diesmal in den Sirsjön See. Doch zuvor geht’s in eine urige Saunahütte. Und man fragt sich, ob es beim nächsten Mal nicht gar die komplette Siebentage­stour auf dem Klarälven sein soll.

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