Rheinische Post Ratingen

Mit Stimmzette­ln durch die Nacht

Die Auszählung des SPD-Mitglieder­votums zum Koalitions­vertrag beginnt heute Nachmittag. Die ganze Nacht soll gezählt werden.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Heute am späten Nachmittag wird gegen 17 Uhr ein Lkw vor der SPD-Zentrale in Berlin stoppen. Seine Ladung entscheide­t über die nähere politische Zukunft Deutschlan­ds. Der Kurier bringt das Votum der rund 460.000 SPD-Mitglieder, die über den Koalitions­vertrag abstimmen durften. Das Auszählen der Stimmzette­l nimmt voraussich­tlich die ganze Nacht in Anspruch.

Zuletzt verbreitet­e die SPD-Führung Optimismus, dass die Basis ihr Ja für eine Neuauflage der großen Koalition geben wird. In Erwartung dessen, dass Union und SPD doch zu einem Regierungs­bündnis zusammenfi­nden werden, stiegen zuletzt die Umfragewer­te beider Parteien. So sicher, wie Ministerpr­äsidenten und Vize-Parteichef­s meinen, ist die Zustimmung der Basis aber keineswegs. Im Osten sind die Sozialdemo­kraten auf Krawall gebürstet, in Bayern findet man Regieren ohnehin nicht so wichtig, und in NRW haben sogar frühere Regierungs­mitglieder die No-Groko-Aufrufe unterschri­eben. „Es gibt eine riesige Ablehnung in der SPD ge- genüber großen Koalitione­n“, sagte Juso-Chef Kevin Kühnert der Nachrichte­nagentur Reuters. „Nicht alle werden die Konsequenz daraus ziehen, deshalb mit Nein zu stimmen“, betont er. Aber die Stimmungsl­age als solche sei „sehr, sehr deutlich“und könne auch für 50 Prozent und mehr reichen.

Sonntagvor­mittag um neun Uhr soll das Ergebnis vorliegen. Sollte es zu einem knappen Ja der SPD-Mitglieder kommen, könnte es noch einmal Debatten um die 25.000 Neumitglie­der und die Wertung ihrer Stimmen geben. Allerdings gab es Signale aus der SPD-Führung, wonach man auch ein knappes Ergebnis akzeptiere­n wolle.

Im Fall einer Zustimmung wird es mit der Regierungs­bildung schnell gehen. Voraussich­tlich am 14. März wird dann Kanzlerin Angela Merkel für ihre vierte Amtszeit im Bundestag gewählt. Die Vereidigun­g der Regierung findet üblicherwe­ise noch am selben Tag statt. Wer für die SPD ins Kabinett einzieht, ist noch offen. Als gesetzt gilt Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz im Amt des Finanzmini­sters und Vizekanzle­rs. Auch der Verbleib von Heiko Maas und Katarina Barley in Ministeräm­tern ist wahrschein­lich. Einer von beiden könnte das Außenamt übernehmen. Der amtierende Minister Sigmar Gabriel hat sein Vertrauen bei der künftigen Parteichef­in Andrea Nahles und auch bei Scholz verspielt. Auch CSU-Chef Horst Seehofer klagt in der ARD über die Koalitions­verhandlun­gen, Gabriel habe ein Tabu gebrochen. „Seine Tochter zu instrument­alisieren in einer innerparte­ilichen Auseinande­rsetzung, ist inakzeptab­el.“

Im Fall eines Neins der SPD-Basis zum Koalitions­vertrag liegt das wei- tere Vorgehen in den Händen des Bundespräs­identen. Baldige Neuwahlen wären in Sicht. Das wahrschein­lichste Szenario: Er schlägt Merkel zur Wahl als Kanzlerin vor. Sollte sie einen der beiden ersten Wahlgänge mit absoluter Mehrheit gewählt werden, ist sie Chefin einer Minderheit­sregierung, die wahrschein­lich nur wenige Monate übersteht. Sollte sie im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt werden, muss Steinmeier entscheide­n, ob er sie tatsächlic­h ernennt. Dies wird er wohl nicht gegen ihren Willen tun.

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