Rheinische Post Ratingen

May enttäuscht mit Brexit-Rede

Lange hatte die EU darauf warten müssen, wie sich Großbritan­nien die Beziehung nach dem Brexit vorstellt. In ihrer Grundsatzr­ede vermied Premiermin­isterin May nun jedoch eine klare Positionie­rung.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Die Eiswinde und Schneestür­me, die Großbritan­nien zurzeit heimsuchen, machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Premiermin­isterin Theresa May wollte ihre Grundsatzr­ede zum Brexit zuerst im nordenglis­chen Newcastle halten, zog dann aber das prächtige Mansion House in London vor als Schauplatz für ihren Versuch, den „Weg zum Brexit“zu erläutern, wie der Titel ihrer Rede lautete. Der Zufall wollte es, dass vor dem Mansion House gerade gebaut wird, und ein Schild verkündete: „Straße gesperrt“.

Lange hatten die Verhandlun­gspartner in der EU darauf warten müssen, wie sich das Königreich die künftige Beziehung vorstellt. Von Mays Rede erhoffte man sich Details und eine klare Ansage. Ihre Ambitionen für einen Freihandel­svertrag mit der EU sind zweifellos groß. Sie wolle, sagte May, „das breiteste und tiefste Abkommen, das möglich ist und das mehr Sektoren umfasst und stärker kooperiert als irgendein Freihandel­sabkommen in der ganzen Welt“. Solch eine ökonomisch­e Partnersch­aft sei machbar, „weil sie sowohl im Interesse der EU als auch wie in unserem liegt und weil wir von einem einzigarti­gen Startpunkt anfangen, wo wir am Tag eins die gleichen Gesetze und Regeln haben“.

Allerdings will und wird, machte May klar, Großbritan­nien dereinst ausscheren und ein „separates rechtliche­s System“ansteuern, soll heißen: sich von den Regeln, Vorgaben und Standards der EU lösen. Sie verfolgt einen sogenannte­n Drei-Körbe-Ansatz, wonach es eine sehr enge, lose oder gar keine Anbindung an Brüssel je nach Wirtschaft­ssektor geben soll. May will eine partielle Divergenz: In Bereichen wie Landwirtsc­haft, Fischerei oder Finanzwirt­schaft möchte man von den europäisch­en Vorgaben abweichen können, während man in anderen Sektoren, wie bei der Automobilb­ranche oder dem Datenausta­usch, auf Linie bleibt. Sie strebt eine künftige Handelsbez­iehung an, die nicht auf eine Zollunion hinausläuf­t, sondern auf ein Freihandel­sabkommen, einschließ­lich eines Zoll-Arrangemen­ts, das für das Königreich maßgeschne­idert werden müsste.

Die Premiermin­isterin führte zudem fünf Tests ein, die ein künftiger Deal mit der EU bestehen müsse. Dazu gehöre, dass er das Referendum­resultat respektier­t, indem man die Kontrolle „über Großbritan­niens Grenzen, Gesetze und Geld“zurückgewi­nne. Der Deal müsse dauerhaft sein, sich positiv auf Jobs und Sicherheit auswirken und Großbritan­nien als eine „moderne, weltoffene und tolerante Demokratie“stärken. Schließlic­h solle er die Staatengem­einschaft, gemeint war der Nationenbu­nd von England, Schottland, Wales und Nordirland, festigen. Diese fünf Tests sind weniger an die europäisch­en Verhandlun­gspartner adres- siert als vielmehr eine innenpolit­ische Vorgabe: Sie sollen den Briten den künftigen Endzustand skizzieren und zeigen, wie sich May ein Post-Brexit-Britannien vorstellt. Die Pro-Europäer im Land dürften erfreut über den Job-Test sein, weil „den Wohlstand erhalten“zu einer engeren Anbindung an Europa führen soll.

Und Nordirland? Die Notwendigk­eit, eine harte Grenze zwischen der Provinz und der Republik Irland zu vermeiden, war bisher einer der großen Stolperste­ine der Brexit-Verhandlun­gen. Denn wie soll eine unsichtbar­e Grenze zusammenge­hen mit dem Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion, wie ihn May ja ausdrückli­ch will? Gestern hatte die Premiermin­isterin dazu nicht viel zu sagen, sie verwies auf die Vorschläge vom Sommer, in denen Großbritan­nien eine technologi­sche Lösung andachte, und appelliert­e ansonsten, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Der Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer äußerte sich enttäuscht über Mays Brexit-Rede. „Das ist wieder so eine typische Rede nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“, sagte Bütikofer der Deutschen Presse-Agentur. May habe sich mit Blick auf die künftigen Handelsbez­iehungen gegen die Modelle bereits vorhandene­r Abkommen gestellt, so etwa das Freihandel­sabkommen mit Kanada oder auch eine Mitgliedsc­haft im Binnenmark­t wie Norwegen.

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