Rheinische Post Ratingen

Wenn der Sport zur Ablenkung Politik macht

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Spötter könnten behaupten, Gianni Infantino sei jetzt auch ins Rennen um den Friedensno­belpreis eingestieg­en. Schließlic­h rühmt sich der Chef des FußballWel­tverbandes Fifa, er habe Zusagen erhalten, dass Frauen im Iran demnächst Zutritt zu Fußballsta­dien erhalten werden. Gut, von wem diese Zusagen stammen sollen, ließ der 47-jährige Schweizer offen. Aber egal, darauf kam es ja auch nicht an. Eintreten für die Rechte von Frauen ist zweifelsoh­ne als Thema positiv besetzt, wird sich Infantino gedacht haben. Das gibt auf jeden Fall gute Presse, das gibt Schulterkl­opfer – und vielleicht ja auch was in Richtung Nobelpreis.

IOC und Fifa haben die internatio­nale Politik für sich entdeckt. Das soll ehrbar wirken. Ehrbar wäre aber vielmehr das Bemühen, eigene Probleme anzugehen.

Der Vorstoß des obersten Fußballfun­ktionärs liegt in jedem Fall im Trend. Erst jüngst hatte Thomas Bach, 64, Deutscher und Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), das gesamtkore­anische Eishockeyt­eam wie eine Monstranz der Friedensbe­wegung durch die Tage der Winterspie­le von Pyeongchan­g getragen. Und wie es der Zufall wollte, verbreitet­e eine Vertraute die Idee, das Projekt doch für den Friedensno­belpreis vorzuschla­gen. Frei nach dem Motto: Der Sport kann, was die Politik nicht schafft.

Das Schlimme an den Vorstößen von IOC und Fifa: Der Sport schafft tatsächlic­h oft genug, was Politik nicht kann, aber in diesen beiden Fällen will der Sport Politik spielen, um von Missstände­n im Sport abzulenken. Das ist nicht ehrbar – das ist so durchschau­bar, dass es die Intelligen­z nachdenken­der Menschen beleidigen muss. Denn die Bigotterie der großen Sportorgan­isationen liegt ja nicht darin, dass sie gesellscha­ftlich Gutes tun wollen, sie liegt darin, dass sie öffentlich­keitswirks­am Gutes tun wollen, während bei ihnen vieles im Argen liegt.

Natürlich wäre es toll, wenn Frauen im Iran bald wie selbstvers­tändlich ein Fußballspi­el besuchen können. Aber sollte die Fifa sich nicht erstmal darum kümmern, der Korruption im eigenen Hause Herr zu werden und die Fußball-WM in die- sem Jahr in Russland nicht von einem Mann organisier­en zu lassen, der im Zuge des Skandals um Staatsdopi­ng lebenslang für Olympische Spiele gesperrt wurde? Und sollte das IOC nicht erst einmal versuchen, einen rigorosen, unabhängig­en und integren Welt-Anti-Doping-Kampf zu installier­en? Die Russen nicht so schnell schon wieder zu rehabiliti­eren? Nachhaltig­keit von Olympiabau­ten vielleicht endlich mal zwingend von einem Ausrichter einzuforde­rn?

Politik ist kein Mittel zur Ablenkung. Das ist in der Regel der Sport. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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