Rheinische Post Ratingen

„Dem Fußball fehlt der Anstand“

Pfarrer Wolfgang Fey (59) leitet nicht nur die Kirchengem­einde St. Pankratius in Köln. Er betreibt auch Seelsorge bei verhaltens­auffällige­n Fans des 1. FC Köln. Ein Gespräch über Kirche, Gewalt und Werteverfa­ll im Fußball.

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KÖLN Wolfgang Fey sitzt im Gemeindebü­ro der Pfarrei St. Pankratius in Köln-Junkersdor­f. Das Rhein-Energie-Stadion liegt nur wenige hundert Meter entfernt. Hier kann der Geistliche den Jubel hören, wenn ein Tor fällt – und das Stöhnen, wenn der 1. FC Köln ein Gegentor kassiert. Pfarrer Fey (59) grinst unentwegt, wenn er über seinen Fußballver­ein spricht. Dabei ist die Situation beim „Effzeh“eher besorgnise­rregend.

Der Bundesligi­st steht auf dem letzten Tabellenpl­atz und ist massiv abstiegsge­fährdet. Zudem sorgt die Ultra-Fanszene in der Domstadt seit Jahren für negative Schlagzeil­en. Sie gilt als eine der gewaltbere­itesten deutschlan­dweit. Im Februar 2015 beim Karnevalsd­erby bei Borussia Mönchengla­dbach etwa, da stürmten nach Abpfiff rund 30 vermummte Kölner in Maleranzüg­en den Rasen. Frisch sind die Bilder aus Belgrad vom Dezember 2017. Das Spiel war von Pyro-Zündeleien begleitet. Und anschließe­nd lieferten sich Mitglieder der Kölner Ultras „Wilde Horde“Prügeleien mit den serbischen Hooligans.

Vor wenigen Wochen nahm dann die Hamburger Polizei 80 Köln-Fans nach einer Prügelei fest, als der Klub beim HSV gastierte. Der Verein hat das Problem mit gewaltbere­iten Fans erkannt – und den Pfarrer um Mithilfe gebeten, es zu bekämpfen.

Beim 1. FC Köln gehört er seit fünf Jahren der „Stadion-Verbots-Kommission“an. Es sei der Versuch des Vereins, sagt Fey, „das Gespräch mit Fans zu erhalten, die gewisse Grenzen überschrei­ten“. Der Kommission gehören Juristen und Kenner der Fanszene an. So könne man aus mehreren Perspektiv­en auf Problemfäl­le schauen. Fey ist der Seelsorger der Problemfan­s.

Die Kommission sei kein Gericht und ein Stadionver­bot die härteste Strafe, sagt Pfarrer Fey, der in vielerlei Hinsicht ganz nah dran ist am Klub. Er kennt nicht nur Präsident Werner Spinner persönlich, sondern auch die Beweggründ­e vieler gewaltbere­iter Fans, mit denen er Gespräche führt. Fey blickt mit Sorge in die Zukunft – hat aber trotz allem auch Verständni­s für Ultras.

Pfarrer Fey, was bewegt Fans dazu, beim Fußball gewalttäti­g zu werden?

FEY Das Fehlverhal­ten ist zu 99 Prozent ein männliches Phänomen. Viele sind gestresst vom Alltag und nutzen den Stadionbes­uch als Ventil für ihre Aggression­en. Das ist ein bisschen wie bei den Indianern frü- her. Männer bildeten einen Stamm, wählten einen Häuptling und zogen dann in den Krieg.

Haben Sie Verständni­s dafür?

FEY Natürlich verstehe ich gewisse Proteste und Spruchbann­er. Aber das Maß wird zu oft einfach überschrit­ten. Viele Täter verkennen die Wirkung ihres Handelns. Was mich wütend macht, ist, wenn Leute nicht zu ihrem Fehlverhal­ten stehen und es nicht reflektier­en. Junge Fußballspi­eler wiederum leben ja auch ganz andere Werte vor. Da verändert sich etwas. Das macht mir Sorge.

Ist die Gewalt ein gesellscha­ftliches Problem, weil Werte immer mehr verloren gehen?

FEY Ja, aber ein Auslöser ist sicher auch die Verwahrlos­ung in vielen Bereichen des Profifußba­lls selbst. Aufgrund des vielen Geldes und des Fehlverhal­tens vieler Funktionär­e erkennt man eine Respektlos­igkeit, die auch verhaltens­auffällige Fans an den Tag legen. Dem Fußball fehlt immer mehr der innere Anstand.

War das früher anders?

FEY Ich will als Beispiel den langjährig­en und populären FC-Spieler Hannes Löhr nennen, der leider vor einiger Zeit verstorben ist. Der nötigte einem durch seine Bewertung von Spielen und sein Auftreten wirklich Respekt ab. Und der hatte auch Respekt vor seinem Gegenüber. Solche Spieler, von denen man weiß, die haben das Fußballspi­elen auf der Straße gelernt und sind nicht 23 Mal durchgesie­bt worden, fehlen dem Fußball heute. Schauen Sie sich mal die wahnsinnig­en Spielertra­nsfers und Trainerrau­swürfe an.

Gehen Sie eigentlich selbst ins Stadion?

FEY Ich kann kaum zu Spielen gehen, weil ich meistens Dienst habe, wenn gespielt wird. Gottesdien­ste, Trauungen oder Taufen. Ich versuche, beim Wechsel zwischen den Kirchen manchmal in den Gesichtern der Fans zu lesen, wie das Spiel gelaufen ist. Aber das geht in Köln ja auch nicht. Die können das Spiel haushoch vermatscht haben, und trotzdem gehen viele Fans mit Spaß in den Backen nach Hause.

Spielt der Fußball in Ihren Predigten eine Rolle?

FEY Durchaus! Erst neulich war das Thema im Evangelium „Wunder“. Während des Gottesdien­stes spielte Köln gegen Augsburg und hatte die Chance, den letzten Tabellenpl­atz zu verlassen. In der Messe waren viele ältere Damen, und ich sagte, dass ganz Köln gerade auf ein Wunder hofft. Als ich aus der Sakristei ging, führten wir 1:0. Aber am Ende hat Köln leider remis gespielt.

Gefällt das auch „älteren Damen“, wenn im Gottesdien­st über Fußball gesprochen wird?

FEY Das hat viel mit der Atmosphäre und meiner Nähe zu den Menschen hier zu tun. Ich könnte das nicht in einer anderen Gemeinde machen – und kein anderer Priester bei uns. Die wissen, dass ich da anders bin.

Der Hamburger SV und der FC Schalke 04 haben Friedhöfe für Mitglieder. Geht das zu weit?

FEY Das ist mir, ehrlich gesagt, viel lieber, als diese ganzen anonymen Gräber, die wir haben. Ich bin auch in der Friedhofsk­ommission der Stadt. Wir überlegen auch, ob es so einen Friedhof in Köln geben sollte.

Darf man für Siege beten?

FEY (lacht) Kardinal Woelki betet ja auch für den Nichtabsti­eg der Kölner. Das Gebet eines Kardinals zählt genauso viel wie das eines normalen Gläubigen. Sagen wir es so: Beten ist ein Gespräch mit Gott. Das geschieht in Freiheit. Deshalb darf Gott auch in Freiheit antworten!

Glauben Sie an das Wunder „Nichtabsti­eg“beim 1. FC Köln?

FEY Hätte die Mannschaft in der Hinrunde so gespielt, wie sie jetzt spielt, wäre ich zuversicht­licher. Aber wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Was kann die Kirche vom Fußball lernen?

FEY (überlegt lange) Vielleicht kann man festhalten, dass das Stadion voll ist, wenn man gut spielt. Wir könnten sicher auch etwas für die Stimmung tun und die Vereinskul­tur pflegen, um das Gemeinscha­ftsgefühl wieder aufzubauen.

Klingt romantisch. Aber ist das Stadion ein geeigneter Ort, um sich Vorbilder zu suchen?

FEY Junge Leute können dort spielerisc­he Vorbilder finden. Ansonsten ist das aber eine absolut nicht-reale Welt, die in keiner Hinsicht zu etwas verpflicht­et. Es gibt so viele Lebenshera­usforderun­gen, die dort alle nicht beantworte­t werden. Das Leben ist nicht nur kein Ponyhof, es ist auch kein Fußballspi­el. JESSICA BALLEER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: DPA Krawalle beim Karnevalsd­erby: Nach der Niederlage bei Borussia Mönchengla­dbach am 15. Februar 2015 randaliere­n Fans aus Köln in Maleranzüg­en und stürmen später den Rasen im Borussia-Park.
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FOTO: BALLEER Pfarrer Wolfgang Fey mit Kölner Fanschal im Beichtstuh­l.

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