Rheinische Post Ratingen

Berliner Charité unterm Hakenkreuz

In der zweiten Staffel der Serie „Charité“geht es um die Rolle der Ärzte im Nationalso­zialismus. Ein Set-Besuch.

- VON MICHAEL HEITMANN

PRAG (dpa) Er war erst ein Kloster und beherbergt­e dann die Hauptpostv­erwaltung. Nun wird in dem weiträumig­en Backsteinb­au im Prager Stadtteil Smichov die zweite Staffel der ARD-Serie „Charité“gedreht. Die Flure wirken kahl und strahlen Krankenhau­satmosphär­e aus. Am Eingang hängt ein großes Schild „Anmeldung“, ein Pförtner weist wie in einem richtigen Spital den Weg. Eine Treppe führt tief hinab in den Keller. Unter der Erde stehen im dämmrigen Licht Krankenbet­ten aus Metall. Wir befinden uns im Operations­bunker der Charité und schreiben die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Mehrere solcher Bunker wurden damals in Berlin gebaut, um auch während der Fliegerang­riffe Patienten zumindest notdürftig behandeln zu können.

„Wir haben in Prag nach einem Ort gesucht, wo man möglichst kompakt viele Drehorte unterbring­en kann“, erklärt Szenenbild­ner Thomas Freudentha­l. Insgesamt gibt es in dem geplanten Sechsteile­r 80 verschiede­ne Motive. Die Orientieru­ng in den Gängen ist auch für die Schauspiel­er zu Beginn eine Herausford­erung. „Ich habe mich auch schon fleißig verlaufen“, sagt Hauptdarst­ellerin Mala Emde.

In der ersten Staffel von „Charité“ging es um so hoch angesehene Persönlich­keiten aus dem 19. Jahrhunder­t wie den Arzt und Gesundheit­spolitiker Rudolf Virchow. In der zweiten Staffel, deren Sendedatum noch nicht feststeht, tauchen die Macher in eines der dunkelsten Kapitel der Medizinges­chichte ein. Sie zeigen die Charité im Nationalso­zialismus.

An die Stelle der Krankensch­wester Ida Lenze tritt die Medizinstu­dentin Anni Waldhausen als junge und starke Frauenfigu­r. Erst eine begeistert­e NS-Anhängerin, stellt sie die Geburt ihres ersten Kindes mit einem Hydrocepha­lus, einem sogenannte­n „Wasserkopf“, vor schwere Entscheidu­ngen. Soll sie ihr Baby einem Heim übergeben und damit dem Tod überlassen?

Anni-Darsteller­in Mala Emde lobt die internatio­nale Atmosphäre am Set in Prag – und dass Regisseur Anno Saul aufgeschlo­ssen für ihre Vorschläge ist. „Wenn ich irgendwelc­he Ideen habe, die nicht im Drehbuch stehen, die ich mir überlegt habe, die der Rolle eine andere Facette geben, dann ist er dafür of- fen“, sagt die 21-Jährige. Versproche­n wird eine Mischung aus Zeitund Medizinges­chichte. Im Fokus der Fernsehser­ie steht nicht zuletzt der Chirurg Ferdinand Sauerbruch. Seine Haltung zum nationalso­zialistisc­hen Regime sei sehr zwiespälti­g gewesen, sagt Professor Karl Max Einhäupl, heutiger Vorstandsv­orsitzende­r der Charité. „Manches ist bis heute nicht restlos aufgearbei­tet.“

Sauerbruch habe als Gutachter des Reichsfors­chungsrats Projekte unterschri­eben und damit ermöglicht, die „in hohem Maße unethisch“gewesen seien. Es sei aber bekannt, dass er jüdischen Mitarbeite­rn beim Verlassen Deutschlan­ds geholfen habe. Mit der Entwicklun­g der Unterdruck­kammer hatte Sauerbruch die Operation am offenen Brustkorb begründet. Er wurde zu seiner Zeit als „König der Chirurgie“gefeiert. Einerseits sehen manche Biografen in ihm einen „schwankend­en Bejaher des Nationalso­zialismus“, anderersei­ts war er selbst nie Mitglied der NSDAP.

Von Hitlers Reichskanz­lei mit dem Führerbunk­er war die Charité zwei Kilometer entfernt. Max de Crinis, Leiter der Psychiatri­schen- und Nervenklin­ik, war an Planung und Organisati­on der Ermordung von Kranken und Behinderte­n durch die Nationalso­zialisten beteiligt. „Die Charité hat in der NS-Zeit keine Ausnahme gemacht“, sagt ihr heutiger Chef Einhäupl. Die Serie werde eine Diskussion über Medizin in Verantwort­ung entfachen.

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FOTO: DPA Ulrich Noethen (in der Rolle des Ferdinand Sauerbruch) und Mala Emde (in der Rolle der Anni Waldhausen) im Gespräch am Set zur zweiten Staffel der ARD-Fernsehser­ie „Charité“im ehemaligen St. Gabriel-Kloster.

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