Rheinische Post Ratingen

Lena Odenthal im Gruselkabi­nett

„Waldlust“kombiniert zwei Elemente, die zuletzt beim Publikum durchfiele­n: Horror und improvisie­rte Dialoge.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

LUDWIGSHAF­EN Zuschauer und Kritiker waren sich selten so einig wie vor einem Jahr: „Babbeldasc­h“war mies. Der frei improvisie­rte Krimi, der in einem Munddartth­eater spielt und in dem neben dem Ermittlert­eam um die ewige Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) Amateursch­auspieler munter mitmischen, wurde überall verrissen.

Nur 6,35 Millionen Zuschauer schalteten ein, bemängelt wurde „Surrealism­us aus dem Kinderzimm­er“. Das kreativste Urteil lautete: „Ein Werbefilm für Drehbuchau­toren und Schauspiel­schulen – weil er verdeutlic­ht, was für ein stinklangw­eiliges Machwerk entstehen kann, wenn man auf beides (weitgehend) verzichten will.“

Fast auf den Tag genau ein Jahr später wagt das SWR einen Film derselben Machart vom selben Regisseur. Das Setting allerdings ist diesmal ein halb verfallene­s Hotel im Schwarzwal­d, das von seltsamen, morbiden Gestalten bewohnt wird. Wenn man so will, schlägt der SWR mit dieser Entscheidu­ng zwei Fliegen mit einer Klappe – nicht nur Impro-Feinde gehen auf die Barrikaden, sondern auch Gegner des gemeinen Gruselfilm­s, die auch vier Monate nach dem Frankfurte­r Fall „Fürchte Dich“noch von Albträumen geplagt werden.

Die Ausgangssi­tuation ist patent: Lena Odenthal und ihre Kollegen Johanna Stern, Peter Becker und Frau Keller juckeln in den tief verschneit­en Schwarzwal­d, um nach dem Abgang ihres Kollegen Kopper das zu betreiben, was sich neudeutsch „Teambuildi­ng“schimpft. Ein Kammerspie­l also.

Odenthal ist genervt vom penetrante­n „Coach“Simon Fröhlich, der als eine der ersten Amtshandlu­ngen alle Handys einsammelt. Gleichzeit­ig traut sie ihm zu, dass er die gesamte seltsame Atmosphäre irgendwie inszeniert hat. Das aus der Zeit gefallene Hotel „Lorenzhof“– halb Butterfahr­t-Ziel, halb Spukschlos­s –, wurde im echten Leben per Casting aus dreißig reizenden Immobilien dieser Art ausgewählt.

Gastgeber ist der bärenhafte, bucklige Waldschrat Bert, genannt „Humpe“, der tagsüber mit der Mistgabel auf den örtlichen Kommissar losgeht und nachts mit der greisen Diva Lilo Viardot Walzer tanzt (beeindruck­end facettenre­ich: Heiko Pinkowski). Dessen aufgesetzt fröhliche Nichte wiederum zeigt selbstverl­etzendes Verhalten.

Mehr als ein Hauch von Groteske à la Friedrich Dürrenmatt wabert durch diesen Film, dazu mal mehr, mal weniger starke Andeutunge­n von Brudermord und Grabschänd­ung, Suizid, Inzest und Polizeiwil­lkür sowie die Ausnutzung und das Wegsperren von psychisch Kranken. Und dann finden die Ermittler auch noch einen Menschenkn­ochen im vegetarisc­hen Abendessen.

Man muss nicht allzu zart besaitet sein, damit einem das zu viel wird,

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FOTO: SWR Das absurd-morbide Treiben im Hotel „Lorenzhof“hält Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) zunächst für eine Inszenieru­ng ihres Team-Psychologe­n.

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