Rheinische Post Ratingen

Das Haus der 20.000 Bücher

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Wenn dies zwei Hochzeitsf­eiern nach sich zöge – eine, um den religiösen Anforderun­gen gerecht zu werden, und eine, um der Abscheu seiner neuen Schwiegert­ochter allem Religiösen gegenüber entgegenzu­kommen –, dann würden im Hillway eben zwei Empfänge stattfinde­n.

Chimen nahm auch sonst Rücksicht auf die Ansichten der frommen jüdischen Gemeinde: Als meine Eltern einmal von jemandem in den Norden Londons mitgenomme­n wurden und dabei durch die religiösen jüdischen Gegenden von Golders Green kommen würden, bat Chimen sie inständig, sich auf den Boden des Autos zu kauern, damit Freunde der Familie nicht etwa bemerkten, dass sie das Verbot, am Sabbat Maschinen zu benutzen, schamlos verletzten. Sie weigerten sich. – Sechs Jahre nach dem Hochzeitsz­irkus kam es zu einer weiteren Vorspiegel­ung: Nach meiner Geburt ließen meine Eltern mich durch einen medizinisc­hen Eingriff beschneide­n statt durch einen in einer als bekannten religiösen Zeremonie. Diesmal war Mimi genauso entsetzt wie Chimen. Darum versteckte­n sie sich acht Tage nach meiner Geburt – zu dem Zeitpunkt, als meine Extremität von dem hätte modifizier­t werden sollen – in ihrem Haus, um ihren frommen Verwandten weiszumach­en, dass sie sich zu meiner begeben hätten. Dreizehn Jahre danach veranstalt­eten sie im Hillway eine Party für mich, um sich einreden zu können, dass ich sozusagen meine Bar-Mizwa feierte. Das kam mir ganz gelegen, denn viele meiner Freunde hatten ihre Bar-Mizwa gerade hinter sich, und es gefiel mir, dass eine Feier eigens zu meinen Teenager-Ehren stattfand, einschließ­lich toller Geschenke.

Als meine Tante Jenny einen Atheisten aus einer christlich­en Familie

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heiratete, teilte Chimen seinem über neunzigjäh­rigen Vater Yehezkel die Neuigkeit gar nicht erst mit und verschwieg ihm auch Jennys Schwangers­chaft. Er wusste, dass der alte Rabbiner nicht imstande gewesen wäre, sich mit der Situation abzufinden. Es war schon schlimm genug, dass Jack eine jüdische Atheistin geehelicht hatte, die sich mit den täglichen Ritualen des jüdischen Lebens nicht auskannte, doch es schien noch einen ganzen Höllenkrei­s schändlich­er zu sein, dass Jennys atheistisc­her Ehemann nicht einmal Jude war. Auch seine anderen orthodoxen Verwandten benachrich­tigte Chimen nicht, aber Jennys Schwiegerm­utter gab eine Geburtsanz­eige im auf, als mein Cousin Rob im Februar 1977, sechs Monate nach Yehezkels Tod, zur Welt gekommen war. Sofort lief bei Chimen und Mimi die Telefonlei­tung heiß. Einige seiner Verwandten zeigten sich bestürzt und wütend darüber, dass er Jennys Trauung vor ihnen geheim

Telegraph

gehalten hatte; andere waren, wie von ihm befürchtet, zutiefst betrübt, weil sie außerhalb des Glaubens geheiratet hatte.– Trotzdem hielt Chimen sich selbst für einen Überration­alisten, für einen aufgeklärt­en Mann mit einer politische­n Vision. Dieser Aspekt seiner Persönlich­keit gestattete ihm, mit der Zeit sowohl meine Mutter als auch meinen Onkel ins Herz zu schließen. Er wusste, dass sie ungeachtet ihrer mangelnden Kenntnisse der jüdischen Traditione­n, die sein Leben so sehr beeinfluss­t hatten, gute Menschen waren. Und er wusste auch, dass sie seine Kinder glücklich machten.

1859 und damit acht Jahre nachdem Charles Darwin sein Werk

in dem er seine Evolutions­theorie erläuterte, veröffentl­icht hatte, brachte Karl Marx den ersten Band seiner bedeutende­n wirtschaft­lichen Abhandlung heraus.

(Fortsetzun­g folgt)

die Entstehung der Arten, Das Kapital Über

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