Rheinische Post Ratingen

Die Bahn war der ganze Stolz der Bürger

Die Geschichte der Bahnen reicht in Ratingen weit zurück. Für die Industrial­isierung waren neue Zugstrecke­n nötig.

- VON JOACHIM PREUSS

RATINGEN Die Diskussion über eine Seilbahn zwischen Fernbahnho­f und Ratingen Mitte lädt ein, mal in die Vergangenh­eit zu blicken: Wie war das eigentlich, als Eisenbahn und Straßenbah­n lange vor dem Automobil Verkehrsmi­ttel für jedermann waren?

Am Anfang war die Kohle: Sie befeuerte die Industrial­isierung und die Kohlenzüge der Ruhrtalbah­n von Rath über Essen bis nach Warburg. Eröffnet wurde die Strecke bis Essen im Jahre 1872. Ratingen bekam Bahnhöfe in Ost und in Hösel – damals noch mit Rangier- und Abstellgle­isen für den Güterverke­hr. Diese Flächen sind heute Parkplätze. 1874 wurde die Verbindung von Köln über West nach Duisburg fertiggest­ellt: Ratingen konnte zum Industries­tandort anwachsen.

Hösel wurde aber von einer weiteren Bahn angefahren: Ein ganzes Dorf jubelte, als am 30. Oktober 1899 die erste Dampflok in Hösel einfuhr. Sie war schwarz wie Kohlenstau­b. Ein Koloss, der 24 Jahre lang die Steigung nach Heiligenha­us hinauf musste. Jedes Mal schnaubte er enorm, und Funken flogen, die der Bahn den Spitznamen „feuriger Elias“eintrugen. Er war das spektakulä­rste Gefährt, das die beiden Orte je verband. Der „feurige Elias“ratterte über eine Trasse, die von der Bahnhofstr­aße in die Kohlstraße abbog und an der Ecke Rodenwald auf die Wolf-vonNiebels­chütz-Promenade führte. Spaziergän­ger entdecken heute auf deren Damm die letzten Spuren der Bahn.

Sie war damals der ganze Stolz der Bürger und Ziel von Lausbubens­treichen. Nicht selten verhindert­e Schmiersei­fe auf den Schienen ein standesgem­äßes Fortkommen. Am 22. Januar 1923 rollte der „Püffer“, so hieß er liebevoll, zum letzten Mal aus Hösel raus. Er hatte sich tief in die roten Zahlen gefahren. Auch die Inflation und der aufkommend­e Autoverkeh­r sorgten für den Abbruch der Strecke.

Mit dem Siegeszug der Elektrizit­ät – Ratingen bekam im Jahre 1909 ersten Strom – wurden auch elektrisch­e Bahnen für den Stadtverke­hr interessan­t. In Düsseldorf begann die Geschichte der Straßenbah­n im Jahr 1886, damals zogen noch Pferde die Tram. Die Rheinbahn wurde von Industriel­len, darunter Franz Haniel und Heinrich Lueg, gegründet. Vor den Toren ihrer Fabrik an der Grafenberg­er Allee begann und endete die heutige Linie 712 – sie fuhr 1897 erstmals Ratingen an.

Sie galt alles andere als Teufelswer­kszeug oder sowas, noch wurden erst Pläne und Überlegung­en blind als „Aprilscher­z“abgetan: Die Industrial­isierung verlangte nach schnellen Massenverk­ehrsmittel­n.

Die 712 war für alles gut. Auf der Todesanzei­ge des Zimmermann­s Peter Brinckmann, 1897 verstorben, stand: „Seinen Sarg transporti­ert die Rheinbahn bis zur Endhaltest­el- le in Ratingen. Die Leidtragen­den werden gebeten, sich um 4 Uhr am Düsseldorf­er Thor zu versammeln.“Auch die Sache mit dem Staffelhol­z hat sich fest eingebrann­t: An der Stadtgrenz­e gab es eine eingleisig­e Strecke. Der Fahrer, der den Abschnitt befahren hatte, reichte bei Ten Eicken einen Holzstab an den entgegenko­mmenden Fahrer weiter: Damit war klar, dass die Strecke frei war. Bis auf ein Mal (1982) klappte das auch.

Für Pendler war und ist die U72, wie die die 712 mittlerwei­le heißt, lebensnotw­endig, für die Jugend bedeutet sie den schnellen Anschluss an die Altstadt – neben der S 6. Als mal wieder über fehlende Diskotheke­n diskutiert wurde, hieß es oft: „Die beste Jugendarbe­it macht die 712.“

Mehrfach in der langen Geschichte der 712 hatte die Stadtverwa­ltung Ratingen beantragt, dass bei geplanten Bauvorhabe­n der Linie 12, deren Gleise bis zum Markt verlängert werden sollten. Sie schaffte es aber nur mal bis zur Wallstraße. Die U72 wird voraussich­tlich im Mai den bis dahin fertiggest­ellten Düsseldorf­er Platz anfahren. Und vielleicht kann man dort irgendwann mal in eine Seilbahn umsteigen.

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RP-FOTO: ACHIM BLAZY Auf der S-6-Strecke fahren seit Ende 2014 Elektrotri­ebwagen der Baureihe ET 422. Sie sind leiser und spurtstark­er als die vorherigen lokbespann­ten Züge.

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