Rheinische Post Ratingen

INFO Katholisch, konservati­v, heimatverb­unden

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Die frühere saarländis­che Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist seit Februar in Berlin. Parteichef­in Angela Merkel hat mit der 55-Jährigen eine enge Vertraute in die CDU-Zentrale geholt. Sie wird ein neues Grundsatzp­rogramm für die durch Verluste bei der Bundestags­wahl angeschlag­ene Partei schreiben. „AKK“, wie sie kurz genannt wird, gilt als eine Favoritin für Merkels Nachfolge. Wir treffen sie in ihrem neuen Büro ganz oben im Konrad-Adenauer-Haus.

Frau Kramp-Karrenbaue­r, was vermissen Sie von Saarbrücke­n?

KRAMP-KARRENBAUE­R meine Familie. Vor allem

Kanzlerin Angela Merkel will, dass die Menschen am Ende dieser Wahlperiod­e überzeugt sind, „die da in Berlin“haben verstanden, was die echten Sorgen und Nöte im Land sind. „Die da“sind nun auch Sie. Leben die Politiker hier wirklich abgeschott­et in einer Blase?

KRAMP-KARRENBAUE­R Die Gefahr ist zumindest sehr groß, dass sich Politiker um sich selbst drehen. Durch den parlamenta­rischen Betrieb – das ist auch in allen Landtagen so – sind wir tagelang in Fachdebatt­en vertieft. Die Bürger haben aber häufig ganz andere Alltagssor­gen und sehnen sich bei immer komplexer werdenden Fragen und Herausford­erungen nach einfachere­n Antworten. Diese Quadratur des Kreises müssen wir bewältigen. Das ist ein hoher Anspruch.

SPD, Grüne und Linke setzen darauf, dass die CDU nach rechts rückt, damit der Platz in der Mitte wieder frei wird. Können sie sich Hoffnung machen?

KRAMP-KARRENBAUE­R Die CDU ist dann stark, wenn sie in der Mitte der Gesellscha­ft verankert ist. Das galt schon immer – und das muss so bleiben. Wenn die Menschen jetzt wieder verstärkt über Sicherheit und einen starken Staat diskutiere­n, muss das natürlich auch die CDU als Partei der Mitte aufgreifen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Achse nach rechts verschoben wird. Die große Herausford­erung der CDU als Volksparte­i ist, immer das aufzunehme­n, was die Leute umtreibt. Die Bürger suchen eine Partei, die sich um Lösungen kümmert. Wenn wir es nicht machen, machen es andere.

Es ist ungewöhnli­ch, dass die Generalsek­retärin der CDU dem CDUBundesm­inister Jens Spahn wegen kritikwürd­iger Äußerungen über Hartz-IV-Empfänger in die Parade fährt. Können wir uns auf einen Richtungss­treit in der CDU einstellen?

KRAMP-KARRENBAUE­R In der Sache war sein Beitrag unumstritt­en. Hartz IV ist nicht mehr als eine Existenzsi­cherung. Aber aus vielen Rückmeldun­gen, die im KonradAden­auer-Haus eingegange­n sind, wissen wir, dass sich viele am Tonfall gestört haben. Für diese Diskussion braucht es Fingerspit­zengefühl. Die CDU war nie eine hartherzig­e Partei. Es ist meine Aufgabe als Generalsek­retärin, das auch nochmals klarzumach­en.

FDP-Chef Christian Lindner kann sich eine Regierung mit der CDU vorstellen, wenn Kanzlerin und Parteichef­in Angela Merkel nicht mehr da ist. Können Sie sich eher eine Regierung vorstellen, wenn Herr Lindner weg ist?

KRAMP-KARRENBAUE­R Es spricht für wenig Profession­alität in der Politik, wenn die Frage einer Regierungs­bildung von Personen der einen oder anderen Seite abhängig gemacht wird. Aber das muss die FDP mit sich ausmachen, wann sie sich dazu in der Lage sieht, Verantwort­ung für das Land zu übernehmen.

Wird die CSU eine Schwesterp­artei bleiben im Sinne von geschwiste­rlichem Zusammenha­lt?

KRAMP-KARRENBAUE­R Wer Geschwiste­r hat, weiß: Es ist völlig normal, dass es da auch mal Reibungen gibt. Und dass die etwas größer sind, wenn in Bayern Landtagswa­hlen anstehen, ist auch nicht neu. Das muss man gelassen sehen. Wobei ich schon darauf verweise, dass wir auch eine andere wichtige Landtagswa­hl vor uns haben – in Hessen.

Was halten Sie vom Wunsch des CSU-Landesgrup­penvorsitz­enden Alexander Dobrindt nach einer konservati­ven Revolution?

KRAMP-KARRENBAUE­R Konservati­ve hatten immer die besten Zeiten, wenn sie diese Haltung gelebt und nicht darüber geredet haben.

Parteiprog­ramme werden von den Bürgern selten gelesen. Was wird Ihr Signal an die Menschen sein, wenn Sie sich jetzt daranmache­n, ein neues Grundsatzp­rogramm für die CDU zu erarbeiten?

KRAMP-KARRENBAUE­R Wir beginnen den Programmpr­ozess mit einer Zuhör-Tour. Es geht mir nicht darum, in 300 Seiten darzulegen, mit welchen Themen sich die CDU im Einzelnen beschäftig­t. In einem Grundsatzp­rogramm geht es vor allem um die Haltung: Familie ist für uns immer zentral gewesen – aber das Bild davon ist heute sicher ein anderes als in den 50ern. Oder ein anderes Beispiel: Für Helmut Kohl war immer klar, dass Deutschlan­d unser Vaterland ist – wir unsere deutschen Interessen aber am besten in einem einigen und offenen Europa vertreten können. Wie gehen wir damit in Zeiten von Abschottun­gstendenze­n um? Bleiben wir bei dieser Haltung, auch wenn Populisten lautstark dagegen sind?

Aber dann müssen Sie doch mit einer Haltung vorangehen, wenn Sie nicht den Weg der Populisten gehen wollen.

KRAMP-KARRENBAUE­R Natürlich bringen wir unsere Haltung in die Debatte ein. Aber nicht als „Basta“, sondern als Beitrag zu einer breiten Diskussion. Am Ende muss dann eine gemeinsame Position stehen, hinter der sich alle Flügel der Partei versammeln können. Ganz wichtig für mich: Beim Ringen um gute Lösungen darf nicht jede Debatte als Streit oder Zerrissenh­eit dargestell­t werden.

Fliegt uns vielleicht in ein paar Jahren das Hinterherh­inken bei der Digitalisi­erung um die Ohren, weil wir uns zu lange nur mit der Migrations­debatte beschäftig­t haben?

KRAMP-KARRENBAUE­R Für mich ist diese Diskussion ein wenig wie ein Perpetuum mobile: Die Debatte beherrscht die Schlagzeil­en. Also haben die Menschen ganz unabhängig davon, ob sie jemals direkten Kontakt zu Flüchtling­en hatten oder nicht, das Gefühl, dass die Migration das beherrsche­nde Thema ist. Das spiegelt sich dann in Umfragen wider – und verstärkt die öffentlich­e Debatte. Somit dreht sich die Spirale immer weiter nach oben. Und da ist die Gefahr groß, dass man aus dem Privat 1962 in Völklingen geboren, wuchs Annegret Kramp-Karrenbaue­r konservati­v-katholisch geprägt auf und studierte ab 1984 Politik- und Rechtswiss­enschaften in Trier und Saarbrücke­n. Sie ist verheirate­t, hat drei Kinder und lebte bislang in Püttlingen. Politik Kramp-Karrenbaue­r trat 1981 in die CDU ein. Seit November 2010 ist sie Mitglied im CDU-Bundespräs­idium. 2011 folgte sie auf Peter Müller als Ministerpr­äsidentin des Saarlandes. Seit Februar 2018 ist sie Generalsek­retärin der CDU. Blick verliert, was um uns herum noch passiert. Dabei ist die digitale Revolution zentral. Sie wird nicht nur die Wirtschaft, sondern die ganze Gesellscha­ft verändern. Das ist eine gewaltige Herausford­erung für unsere soziale Marktwirts­chaft. Vielen ist das noch gar nicht so bewusst. Und damit ist es natürlich schwer, Politik im Lichte einer Realität zu machen, die die Menschen noch gar nicht als Realität empfinden.

Was werden Sie tun?

KRAMP-KARRENBAUE­R Eine ehrliche Diskussion darüber führen, was eine lebenswert­e Gesellscha­ft ausmacht. Wenn die Arbeit am Menschen in Deutschlan­d schlechter bezahlt wird als die Arbeit mit Technik – was sagt das über unsere Gesellscha­ft aus? Wenn immer mehr Menschen fast nur noch virtuelle Kontakte über soziale Netzwerke haben, aber nicht mehr mit dem Nachbarn sprechen oder sich im Verein engagieren – was bedeutet das für den Zusammenha­lt? Wenn wir über Armut im Alter reden, gibt es die materielle Armut, aber auch genauso die soziale Verarmung und Vereinsamu­ng. Manche Menschen sitzen oft in Wartezimme­rn von Ärzten, weil sie schlichtwe­g mit jemandem sprechen möchten. Bei solch gravierend­en Veränderun­gen können wir als Politik nichts anordnen – aber wir können die Diskussion anstoßen.

2020 wollen Sie das Grundsatzp­rogramm fertig haben. Steht dann die Nachfolge von Angela Merkel an?

KRAMP-KARRENBAUE­R Das wird sich dann zeigen, wenn Angela Merkel entschiede­n hat, ob sie noch einmal antritt oder nicht. Darüber heute zu spekuliere­n, bringt nichts. KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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