Rheinische Post Ratingen

Der Prinzen-Weg in eine neue Heimat

Wie Jacinta und Samuel Awasum Ratingen für sich und ihre beiden Kinder entdeckten.

- VON DIRK NEUBAUER

RATINGEN Manchmal haben Jacinta und Samuel Awasum ein schlechtes Gewissen. Wenn wieder Ratinger voller Herzlichke­it auf sie zustürmen, freundlich „Hallo“rufen wie alte Bekannte, sie umarmen und die beiden Kinder anschauen und einfach nur „süß“finden… Ganz ehrlich? Manchmal wissen Jacinta und Samuel nicht auf Anhieb, wer da vor ihnen steht. Oft ergibt sich das im weiteren Gespräch. Und immer geht man fröhlich auseinande­r. Denn Jacinta und Samuel Awasum, geboren im Nordwesten Kameruns, sind es längst: Ratinger Heimatheld­en.

„Der Karneval in Deutschlan­d hat mich verblüfft. Plötzlich, am Rosenmonta­g, waren alle Menschen fröhlich. Sie lachten und tanzten, riefen „Helau“und sammelten Süßigkeite­n von den Straßen. Als ich das das erste Mal gesehen habe, fragte ich mich: Warum machen die das nur einmal im Jahr?“

Das war 2003, ein Jahr nachdem Samuel Awasum aus der drittgrößt­en Stadt Kameruns, dem prosperier­enden Bamenda, zum Studium nach Deutschlan­d flog. Damals war er noch ein Migrant ohne Karnevalsh­intergrund. Erste Station: die ältere Schwester in Göttingen, zweite Station Essen, genauer: die Universitä­t Duisburg Essen, an der Awasum Wirtschaft­sinformati­k studierte. Ein junger Mann positionie­rte sich an der Schnittste­lle zwischen analogem Wirtschaft­en und digitaler Zukunft. Nach der Uni bekam er als erstes einen Berater-Job bei einem der weltweit größten Management­beratungs-, Technologi­e- und Outsourcin­g-Dienstleis­ter. Er reiste und arbeitete viel – in einer manchmal hermetisch verschloss­enen Welt jenseits der Management­wolken.

„Meine Mutter hat mir eine besondere Bibel mitgegeben, als ich nach Deutschlan­d ging. Das ist so Brauch in meiner Familie. Bei uns in Kamerun sind die Menschen sehr gastfreund­lich, herzlich, offen und haben Spaß am Leben.“

Die jecke Session mit dem Ratinger Prinzenpaa­r 2016/17 hat nicht nur das heimatlich­e Winterbrau­chtum unter dem Motto „Dume huch und mahke“deutschlan­dweit bekannt gemacht. Es knüpfte auch ein Band zwischen Bamenda und Ratingen. Wie erklärt man den Eltern in Heimat Nummer eins, dass sie im kommenden halben Jahr in Heimat Nummer zwei als Babysitter gebraucht werden – weil man selbst Prinz und die Ehefrau Prinzessin wird? Letztlich haben die Eltern das Konzept Karneval vorab nicht wirklich verstanden, sondern ihrem Sohn vertraut und sich in ein Flugzeug gesetzt. Bei der Proklamati­on auf der großen Bühne und umrahmt von all den farbenpräc­htigen uniformier­ten Gardisten hat Mutter Awasum geweint. So prächtig hatte sie sich das alles nicht vorgestell­t.

„Ich möchte meine Bekannthei­t dazu nutzen, um Brücken zu bauen zwischen alten und neuen Ratingern. Ich glaube, dass wir viel voneinande­r lernen können. Dazu müssen wir aufeinande­r zugehen.“2004 lernte Samuel Awasum seine Frau Jacinta in Cottbus kennen. Mit dem Finger auf der Landkarte war Ratingen zunächst nur ein Ort der Vernunft. Der Düsseldorf­er Flughafen lag so nah. Aber da war mehr. Beim ersten Spaziergan­g durch den Ort war da sofort eine Vertrauthe­it mit dieser übersichtl­ichen Stadt, ihrem historisch­en Zentrum und einer Ruhe, zu der Großstädte nicht mehr fähig zu sein scheinen. Rasch war sich das junge Paar einig: „Hier sollen unsere Kinder groß werden.“

„Als Vorsitzend­er des Integratio­nsrates versuche ich den Vertretern verschiede­ner Nationalit­äten deutlich zu machen: Integratio­n ist mehr, als die Musik deiner ersten Heimat zu spielen, zu tanzen und die Köstlichke­iten von daheim zu servieren. Man muss aufeinande­r zugehen. Von beiden Seiten.“

Nachdem die Vorsitzend­en des Ratinger Karnevalsa­usschusses 2016 Samuel Awasum gefragt hatten, ob er Karnevalsp­rinz werden wolle, erbat er Bedenkzeit. Erst sollte seine Ehefrau dem Plan zustimmen. Im Vorjahr hatte er der Prinzenkür­ung als Vorsitzend­er des Integratio­nsrates beigewohnt. 2015 war der Mann aus Kamerun bereits den Ratinger Jonges beigetrete­n. Und seinem neuen Arbeitgebe­r musste der zeitlich befristete, aber extrem intensive Zweitjob am Beginn der Probezeit auch noch erklärt werden. Doch auch von dort kam sofort Unterstütz­ung.

„Der Schlüssel zu einer neuen Heimat ist es, die Sprache der Menschen dort zu sprechen. Und auf sie zuzugehen, sie kennenzule­rnen. Man muss deshalb nicht alles übernehmen. Aber man wird keine neue Heimat finden, wenn man ausschließ­lich die alte Heimat zelebriert.“

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RP-FOTO: ACHIM BLAZY „Der Schlüssel zu einer neuen Heimat ist es, die Sprache der Menschen dort zu sprechen. Und auf sie zuzugehen, sie kennenzule­rnen.“Das sagt Samuel Awasum, Vorsitzend­er des Integratio­nsrates.

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